„Moment mal, du bist kein Beob­ach­ter, du bist Teil des Spiels“
Yuval Dis­kin (Lei­ter Schin Bet 2005–2011)

Am 05.März 2013 zeigt arte, einen Tag spä­ter auch ‚Das Ers­te‘ die Doku­men­ta­ti­on des israe­li­schen Regis­seurs Dror Moreh. „Töte zuerst“ (Orgi­nal­ti­tel: „The Gate­kee­pers“). Da es ein neur­al­gi­sches The­ma berührt, in der inter­na­tio­na­len Pro­duk­ti­on der NDR als Kopro­du­zent mit­wirkt, der Film zudem noch für den Oscar nomi­niert ist, ruft er auch bei uns ein reges Medi­en­echo her­vor, ein Blog­au­tor der ‚Ach­se des Guten‘ ver­steigt sich gar, des etwas unglück­li­chen deut­schen Titels wegen, in die Manie, den NDR als Ver­schwö­rer zu ent­lar­ven und ver­liert vor lau­ter Ent­lar­ve­rei den Film dabei völ­lig aus den Augen.

Das alles wäre nicht wei­ter der Rede wert, gäbe es da nicht im Film ein fast unschein­ba­res, aber hoch bedeut­sa­mes Detail, das die Kom­men­ta­to­ren der soge­nann­ten deut­schen Leit­me­di­en offen­bar nicht bemerkt haben und das es recht­fer­ti­gen mag, die Gele­gen­heit zu nut­zen, um mit ein wenig Abstand am Ran­de der tag­täg­li­chen Spek­ta­kel­skan­da­li-sie­rung den Film oder bes­ser die Fil­me noch ein­mal zu Wort kom­men zu las­sen, aber zunächst zum Detail.

Es dau­ert bis zur 19ten Minu­te und urplötz­lich hört man etwas, das man nicht sieht. Zu den sechs ehe­ma­li­gen Geheim­dienst­chefs, die über Ihre Erfah­run­gen berich­ten, kommt aus dem Off eine sieb­te Stim­me hin­zu, sie kommt jedoch nur hörend in die Wahr­neh­mung, rückt aber nicht ins Bild. Man sieht weder das Gesicht zur Stim­me, noch sonst irgend ein Anzei­chen von Anwe­sen­heit, etwa einen Schat­ten. Es ist daher nur wahr­schein­lich, aber nicht gewiss, dass es sich hier um den Inter­view­er, also den Regis­seur selbst han­delt. In dem Augen­blick, in dem man ihn, wenn auch nur kurz, reden hört, beleuch­tet die­ser Augen­blick die gesam­te bis­her abge­lau­fe­ne Sze­ne­rie gänz­lich neu, denn der, den man da nur hört, muss, der Sicht­bar­keit ent­zo­gen, von Beginn des Films an dage­we­sen sein. Da es aller­dings 19 Minu­ten dau­ert, bis die­se Stim­me über­haupt in die Wahr­neh­mung kommt und fra­gend den bis­lang unge­stör­ten Rede­fluss des gera­de Spre­chen­den unter­bricht, scheint es frag­lich zu wer­den, ob es sich hier über­haupt um Inter­views im gewöhn­li­chen Sin­ne han­deln kann, wird doch, nor­ma­ler­wei­se, bei einem rich­ti­gen Inter­view der Zuschau­er nur Zeu­ge eines Gesprächs zwi­schen dem Interviewer/Moderator und einem oder meh­re­ren Inter­view­ten. Auch die räum­li­che Kon­stel­la­ti­on passt nicht so recht zum Inter­view, sit­zen sich doch nor­ma­ler­wei­se die han­deln­den Per­so­nen gegen­über, an einem Tisch oder in offe­ner Run­de. Dem Zuschau­er wer­den die Fra­gen, sowie die Ant­wor­ten prä­sen­tiert und die Kame­ra schwenkt zwi­schen­durch von einem zum ande­ren. Meis­tens, bei Poli­ti­ker­inter­views ohne­hin, sind die Fra­gen vor­her fest ver­ein­bart und es han­delt sich nur um die Illu­si­on eines Gesprächs. Der Zuschau­er ist in die­ser Kon­stel­la­ti­on nicht Teil des ‚Gesprächs‘, son­dern Publi­kum, das ‚Gespräch‘ selbst fin­det vor ihm, räum­lich deut­lich getrennt, auf einer Büh­ne statt, eine seit lan­gem bekann­te Kon­stel­la­ti­on - man fin­det sie in jeder Kir­che, was neben ande­rem den Vor­zug hat, dass man als Zuschau­er jeder­zeit ver­schwin­den kann, ohne das Gesche­hen da vor­ne zu beein­träch­ti­gen, wäh­rend das Ver­schwin­den als Dia­log­part­ner wenigs­tens unhöf­lich wäre, denn irgend­wie wird man ja doch als Ange­spro­che­ner im Gespräch gehalten.

In einem Inter­view erzählt Dror Moreh, dass ihn ein ande­rer Film zu ‚The Gate­kee­pers‘ inspi­riert hat, ‚The Fog of War‘ aus dem Jah­re 2003 von Errol Mor­ris, eine gute Gele­gen­heit, die­sen noch ein­mal anzu­schau­en und man bemerkt, ent­spre­chend sen­si­bi­li­siert, recht schnell, was Dror Moreh inspi­riert hat: Der Film von Errol Mor­ris arbei­tet mit einem ganz ähn­li­chen set­ting. Auf einem Stuhl sitzt der 85jährige Robert Stran­ge McNa­ma­ra, ehe­ma­li­ger Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter unter Ken­ne­dy und John­son und erzählt uns in der hier­zu­lan­de aus der Erfah­rung ent­las­se­nen Figur des Groß­va­ters, was er aus sei­nem Leben gelernt hat und an die Enkel­ge­nera­tio­nen wei­ter­ge­ben möch­te. Auch in die­sem Film kommt der ‚Inter­view­er‘ nur hörend in die Wahr­neh­mung - er bleibt in der Län­ge des gesam­ten Films dem Blick ent­rückt. Das dar­aus resul­tie­ren­de cha­rak­te­ris­ti­sche Schwan­ken in der Ein­stu­fung war auch schon bei ‚The Fog of War‘ zu bemer­ken , mein­ten doch man­che, es hand­le sich mehr um einen Mono­log, denn um ein Inter­view. Dem Regis­seur wur­de gar vor­ge­wor­fen, er hät­te sich von McNa­ma­ra instru­men­ta­li­sie­ren las­sen, weil er dar­auf ver­zich­tet habe, ihn kri­tisch zur Rede zu stel­len. Ob in dem ‚zur Rede stel­len‘ das zu Wort kommt, was zu Hören auf­ge­ge­ben ist, darf gefragt wer­den. Die Klas­si­fi­zie­rung als Mono­log wäre jeden­falls nur eben­so unzu­tref­fend, da der Inter­view­er ja auf eine etwas unheim­li­che Wei­se abwe­send anwe­send ist. Die­se eigen­ar­ti­ge Kon­stel­la­ti­on lenkt unse­ren Sinn in den Kern der Freud­schen Erfah­rung. Am Anfang des 20sten Jahr­hun­derts fin­det der Jude Freud jenen beson­de­ren Raum wie­der, in dem sich das Spre­chen vom Ver­kün­den lösen kann - es spricht sich frei. Am Ende sei­nes Schrei­bens wird Freud mit dem Mann Moses die Dimen­si­on die­ser Erfah­rung für uns mar­kiert haben.

Soweit sich in den bei­den Fil­men der ‚Inter­view­er‘ aus dem Bild rückt, sich als Fra­gen­der ent­zieht, rückt er die Inter­view­ten aus der direk­ten Ver­ant­wor­tung aus, es geschieht etwas, das in dem ‚zur Rede stel­len‘ gera­de ver­fehlt wür­de, uns als Zuschau­er wie­der­um rückt es in ein beson­de­res Spre­chen ein, in dem sich der Schwer­punkt vom Sehen zum Hören ver­la­gert. Die­ses set­ting, das kaum noch als Dia­log ein­ge­stuft wer­den kann, zumal sich auch die Blick­ach­sen der Spre­chen­den mit denen des Hören­den nur in ganz kur­zen Momen­ten kreu­zen, ver­rückt bei­de Posi­tio­nen, es ver­schiebt die gesam­te Topo­lo­gie und öff­net ein Zwi­schen, das die ‚Ver­rück­ten‘ anders als gewöhn­lich wie­der zusam­men­bin­det. Es ist oft bemerkt wor­den, dass die Geheim­dienst­chefs auf­fal­lend frei und offen von etwas erzäh­len, von dem nor­ma­ler­wei­se nichts nach Drau­ßen dringt. Zudem wen­den sich die Geheim­dienst­chefs von den­je­ni­gen ab, denen sie zuvor ihre Sicht der Din­ge zur Beur­tei­lung und Ent­schei­dung vor­ge­legt haben. Allen ent­schei­den­den israe­li­schen Poli­ti­kern, wohl nur mit Aus­nah­me des gera­de des­halb getö­te­ten Rabin, wird an meh­re­ren Stel­len ein gefähr­li­cher Man­gel an poli­ti­scher Klug­heit attes­tiert. Die Abwen­dung in die eine ist zugleich eine Hin­wen­dung in die ande­re Rich­tung, was neben­bei im eng­li­schen Titel deut­lich hör­ba­rer zu Wort kommt. Mit der Hin­wen­dung und dem Appell an uns ver­schiebt sich jedoch auch unse­re Posi­ti­on des ‚Zuschau­ers‘, sie rückt merk­lich ins Unbe­hag­li­che, wird der Ange­spro­che­ne doch in einer Wei­se adres­siert, die ihm zumu­tet, zu beur­tei­len, was ihm da gesagt wird, den Fluss des Bedeu­ten­den aus- und auf­zu­hal­ten. Unbe­hag­lich gera­de des­halb, weil wir uns so sehr dar­an gewöhnt haben, genau die­sem Spre­chen den Rücken zuzu­wen­den. Von wo aus da ver­rückt wird, mag eine Epi­so­de in Erin­ne­rung rufen.

Im Dezem­ber 1993 ver­öf­fent­licht die Zeit ein Gespräch zwi­schen Adam Mich­nik und Jür­gen Haber­mas, mode­riert von Adam Krzem­in­ski. Das Gespräch ver­sam­melt eine gan­ze Rei­he von Ungleich­zei­tig­kei­ten, von denen hier nur eine her­aus­ge­grif­fen wer­den soll. Adam Mich­nik kommt auf das The­ma Jugo­sla­wi­en zu spre­chen, es ist 1993, der ers­te Völ­ker­mord in Euro­pa nach Aus­schwitz hat noch andert­halb Jah­re Zeit, aber im Unter­schied zum Ver­tre­ter der Auf­klä­rung lässt sich Mich­nik auf die Begeg­nung ein. Er sagt zu Haber­mas: „Mein Ein­druck ist, dass der Bal­kan Euro­pa prin­zi­pi­ell her­aus­ge­for­dert hat. Man sagt dort: Schluss mit Ausch­witz, mit dem demo­kra­ti­schen Euro­pa ist es vor­bei, nun kommt die Uto­pie der eth­nisch rei­nen Staa­ten. Das ist die erschre­ckends­te Bot­schaft, der ich in mei­nem Leben begeg­net bin. Das ist gefähr­li­cher als der Kom­mu­nis­mus.“ Haber­mas ant­wor­tet dar­auf: „Am bes­ten wäre es, wenn die Ame­ri­ka­ner ein­mar­schier­ten und vier­zig Jah­re blie­ben, dann bekä­men wir eine eben­so sta­bi­le Demo­kra­tie wie die Bundesrepublik.“

Vor die­sem Hin­ter­grund lässt der Film von Dror Moreh für uns ein Moment einer Erfah­rung zu, in der viel auf dem Spiel steht, eine Erfah­rung, die bei Sre­bre­ni­ca noch durch ihre Unmög­lich­keit ver­bannt war und man wird sich viel­leicht noch dar­an erin­nern, dass sei­ner­zeit eines jener Ohren, das gera­de im Beginn war, sich dem Hör­ba­ren zu öff­nen mit einem roten Farb­beu­tel sofort wie­der taub gemacht wer­den musste.