Es pas­siert häu­fi­ger in letz­ter Zeit. Es ist so auf­fäl­lig und zugleich so eigen­ar­tig, dass man es kaum nicht wahr­neh­men kann. Trotz­dem wird es fast voll­stän­dig igno­riert. Wie ein Pas­sant, der drau­ßen vor dem Fens­ter vor­bei­geht, blickt man kurz auf, um sich gleich dar­auf wie­der sei­nem nor­ma­len All­tag zuzu­wen­den. Kaum jemand schenkt ihm Beach­tung. Jedes Mal, wenn sich etwas Uner­war­te­tes ereig­net, etwas, das die­je­ni­gen, die alles schon im Vor­aus zu wis­sen glau­ben, nicht haben kom­men sehen, wird die For­de­rung nach einer Unter­bre­chung ver­nom­men. Für einen Moment kann man eine Viel­zahl unter­schied­lichs­ter Stim­men hören, die sich zumin­dest in einem einig zu sein schei­nen, dem Bedürf­nis nach Zeit­ge­winn: Man müs­se jetzt inne­hal­ten, die Gele­gen­heit nut­zen, das plötz­li­che Über­rascht-wor­den-sein zum Anlass neh­men, über die Bedeu­tung und den Sinn des­sen, was gera­de pas­siert ist, nach­zu­den­ken. Doch bevor auch nur die Fra­ge, ob denn alles gut ist, wie es gera­de ist, oder ob denn das, was gera­de läuft, in die rich­ti­ge Rich­tung läuft, gestellt wer­den kann, ist der gan­ze Spuk wie­der vor­über. Nach einer nur weni­ge Tage wäh­ren­den Irri­ta­ti­on fällt alles wie­der in sei­nen gewohn­ten Trott. Jene Fort­schritts­eu­pho­rie indes, in der das Neue unbe­dacht allein schon, weil es neu war, auto­ma­tisch den Vor­rang gegen­über dem Alten hat­te, ist längst ver­flo­gen. Eigen­ar­tig hilf­los und ohn­mäch­tig sehen wir dem Trei­ben zu und ahnen dumpf, es könn­te dies­mal am Ende doch nicht so gut aus­ge­hen, wird doch die Lis­te der ver­pass­ten Gele­gen­hei­ten immer län­ger. Hieß es nicht schon 1989: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“? Allein, bereits für die Ver­stän­di­gung dar­über, was denn unse­re gegen­wär­ti­ge Lage aus­ma­che, fehlt der Mut. Bloß kein Fass auf­ma­chen, von dem man nicht schon vor­her weiß, was es ent­hält, scheint die Devi­se. Haben wir Angst davor, uns Zeit zu gön­nen? Haben wir für Zeit­lich­keit kei­ne Zeit mehr? Ren­nen wir vor unse­rer eige­nen Geschich­te davon? Hat es viel­leicht etwas mit der Ver­mu­tung von Chris­ti­an Mei­er zu tun, dass wir je ver­zwei­fel­ter nur Gesell­schaft sein wol­len, je drän­gen­der wir von Poli­tik her­aus­ge­for­dert werden?

Der voll­stän­di­ge Text ist in der aktu­el­len Aus­ga­be (Som­mer 2017) der Vier­tel­jah­res­schrift TUMULT erschienen.