Pan­zer in einer west­eu­ro­päi­schen Haupt­stadt? Man reibt sich ver­wun­dert die Augen. Fast über Nacht gerät die Vor­stel­lung von Pan­zern auf den Stra­ßen Bar­ce­lo­nas in den Hori­zont des Mög­li­chen. Der­glei­chen war doch bis­lang nur hin­ter dem eiser­nen Vor­hang vor­ge­kom­men: 1953 in Ber­lin, 1956 in Buda­pest, 1968 in Prag, 1981 das Kriegs­recht in Polen, 1991 die sowje­ti­schen Pan­zer in Vil­ni­us und Riga. Nach der Über­win­dung der Spal­tung Euro­pas dürf­te der­glei­chen doch gar nicht mehr pas­sie­ren und schon gar nicht im frei­en Wes­ten, jener selbst­er­nann­ten Kro­ne des geschicht­li­chen Fortschritts. 

1991 bil­de­te eine gro­ße Men­ge von Litau­ern ein mensch­li­ches Schutz­schild um ihr Par­la­ment. Was wer­den wohl Kata­la­nen tun, denen man allen Erns­tes eine Par­la­ments­sit­zung gericht­lich zu ver­bie­ten trach­tet? Zur en pas­sant erfolg­ten Außer-Kraft-Set­zung des Ver­samm­lungs­rechts hört man von den euro­päi­schen Offi­zi­el­len, die sonst nicht müde wer­den, wohl­klin­gen­de Wer­te zu beschwö­ren, erstaun­lich wenig. Muss jetzt auch im Wes­ten jeder Frei­heits­wunsch mit Pan­zern nie­der­ge­walzt wer­den? Die sta­bil geglaub­ten Ori­en­tie­rungs­mar­ken gera­ten durch­ein­an­der. Ist das, was der kal­te Krieg getrennt und weit von­ein­an­der ent­fernt gehal­ten hat, am Ende ganz nah bei­ein­an­der und der Unter­schied zwi­schen dem ideo­lo­gisch und dem büro­kra­tisch Tota­li­tä­ren nur äußer­lich? Eine unheim­li­che Nähe, die Den­ker auf den Spu­ren Han­nah Are­ndts wie Gior­gio Agam­ben schon in den 90 Jah­ren arti­ku­liert haben. Ist die gewalt­sa­me Unter­drü­ckung der poli­ti­schen Frei­heit gar nicht die Aus­nah­me, son­dern der Kern des euro­päi­schen Pro­jekts? Was wer­den die ost­eu­ro­päi­schen Län­der tun, wenn sie rea­li­sie­ren, dass sie mit die­sem Euro­pa nur vom Regen in die Trau­fe gekom­men sind? Ungarns Ant­wort auf den Euro­päi­schen Gerichts­hof, der nur im Rah­men einer euro­päi­schen Ver­fas­sung, die von Euro­pä­ern ent­wor­fen, dis­ku­tiert und in Kraft gesetzt wor­den wäre, Anspruch auf Legi­ti­mi­tät erhe­ben könn­te, war schon ein ers­ter deut­li­cher Hinweis.

Die Her­ren der Öko­no­mie beei­len sich, die Poli­tik auf dem Sta­tus des unter­ge­ord­ne­ten Knechts zu hal­ten. Sie ahnen schon, dass ihnen die Fel­le davon schwim­men. Die Funk­tio­nä­re der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung bie­ten soge­nann­te Rechts­exper­ten auf, die eil­fer­tig ver­si­chern, daß Selbst­be­stim­mung so nicht gemeint sei. Sie alle schei­nen ver­ges­sen zu haben, dass es für jedes Gesetz den Moment vor sei­ner In-Kraft-Set­zung, den Akt der Geset­zung gibt. Der Grund des Rechts ist recht­los. Ben­ja­min war einer der ers­ten, der dies erkann­te. Des­we­gen müs­sen aus spa­ni­scher Sicht die poli­ti­schen Kata­la­nen als mafi­ös, kri­mi­nell, ter­ro­ris­tisch, kurz als vogel­frei erklärt wer­den. Wer einen vogel­frei­en umbringt, macht sich nicht straf­bar. Damit wird der Umgang mit ihnen zur Sache der Poli­zei, der bei Gefahr im Ver­zug jedes Mit­tel recht ist.

Der sou­ve­rä­ne Staat, ein euro­päi­scher Son­der­fall, ist als Not­lö­sung ent­stan­den, um das Ver­nich­tungs­po­ten­ti­al der reli­giö­sen Wahr­heits­krie­ger ein­zu­däm­men. Doch mit der Unter­drü­ckung der reli­giö­sen wur­den die poli­ti­schen Lei­den­schaf­ten gleich mit aus­ge­löscht. Die Auf­recht­erhal­tung der Ord­nung des Sou­ve­räns bedarf der Ver­nich­tung der poli­ti­schen Potenz des Vol­kes. Wenn das Poli­ti­sche an der Schwel­le die­ses Geset­zes auf­taucht, ver­schwin­det das Recht zuguns­ten der Gewalt. Die fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on und die tota­li­tä­ren Ein­brü­che des 20. Jahr­hun­derts haben deut­lich gemacht, dass die Ord­nung des Sou­ve­räns nicht trag­fä­hig ist. Sie hält nicht. Solan­ge die Grund­la­ge die­ser Ord­nung die Siche­rung des blo­ßen Lebens ist, zer­bricht ihre Legi­ti­mi­tät in dem Moment, in dem eine Viel­zahl von Men­schen die­sen Grund ver­las­sen und für etwas ande­res, ihre Unab­hän­gig­keit, ihre Frei­heit ihr Leben aufs Spiel set­zen. Carl Schmitt hat irgend­wo sinn­ge­mäß for­mu­liert, daß die bei­den Welt­krie­ge das Pro­blem Euro­pas nicht gelöst haben. Man hat jedoch nicht nur 1989, son­dern auch schon 1945 in Euro­pa so wei­ter­ge­macht, als wäre nichts gesche­hen. Are­ndt kom­men­tier­te das als Rück­fall in den ‚ver­stun­ke­nen Libe­ra­lis­mus‘. Man soll­te also recht­zei­tig ver­ste­hen, was auf dem Spiel steht. Die Sache der Kata­la­nen ist kein inner­spa­ni­sches Problem.