Frü­her nann­te man es dif­fa­mie­rend Rene­ga­ten­li­te­ra­tur, zu denen auch noch Arthur Koest­lers Son­nen­fins­ter­nis zähl­te. All­mäh­lich ver­brei­tet sich die Ein­sicht, es könn­te auch etwas mit Klug­heit zu tun haben, wenn man den Blend­wir­kun­gen all­zu gro­ßer Licht­ein­strah­lung nicht erliegt, son­dern das grell Beleuch­te­te nach Mög­lich­keit vor sei­ner Erhe­bung zum alter­na­tiv­los Gött­li­chen auch von sei­ner Schat­ten­sei­te aus betrach­tet. Eugen Ruge nutzt vier Gene­ra­tio­nen und meist auch noch bei­de Geschlech­ter, um aus den unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven die Din­ge hin­ter ihrem Rücken auf­zu­spü­ren. Hin­ter den über­all auf­ge­stell­ten Pla­kat­wän­den vom sieg­rei­chen Sozia­lis­mus sieht es näm­lich deut­lich anders aus.

Es gehört schon hohe Kunst­fer­tig­keit dazu, das gan­ze Elend, die unglaub­li­che Anhäu­fung von Jäm­mer­lich­kei­ten des sozia­lis­ti­schen Para­die­ses so zu schil­dern, dass der Leser nicht in einem Abgrund von Melan­cho­lie ver­sinkt, son­dern recht­zei­tig durch herz­haf­tes Lachen aus sei­ner anwach­sen­den Trüb­sal wie­der her­aus geholt wird. Das Dog­ma des Glau­bens, das die jüdisch-christ­li­che mit der sozia­lis­ti­schen Tra­di­ti­on ver­bin­det - cre­do quia absur­dum - ich glau­be, weil es absurd ist - hat eben auch sei­ne komi­schen Seiten.

Am gelun­gens­ten schei­nen mir die gro­ßen Gele­gen­hei­ten wie 90ster Geburts­tag oder Weih­nach­ten, das der groß­vä­ter­li­che Erz­kom­mu­nist nur mit dem Rücken zum Baum erträgt. Mit viel Lust und Lie­be zum Detail schil­dert der Autor, der weiß wovon er spricht, wie die Jäm­mer­lich­kei­ten regel­mä­ßig dar­an schei­tern, das längst völ­lig sinn­ent­leer­te Ritu­al in ein genieß­ba­res Schau­spiel zu ver­wan­deln. So läßt es sich im Hoch­ge­fühl sei­ner pro­le­ta­ri­schen Über­le­gen­heit der 90jährige Vete­ran des anti­fa­schis­ti­schen Wider­stands und dem­entspre­chend ordens­über­häuf­te Par­tei­funk­tio­när Wil­helm nicht neh­men, den Aus­zieh­tisch mit eige­ner Hand auf die für das Geburts­tags­buf­fet not­wen­di­ge Län­ge zu erwei­tern. Doch wie in allen sozia­lis­ti­schen Uto­pien inklu­si­ve der aktu­el­len Kli­ma­ret­tung kommt der Hoch­mut vor dem Fall. Die Wirk­lich­keit erweist sich als wider­stän­dig, wes­halb mit Gewalt in Gestalt von Ham­mer und Nägeln nach­ge­hol­fen wer­den muss. Es kommt wie es kom­men muss. Bei der ers­ten Belas­tungs­pro­be ver­sagt die glor­rei­che Kon­struk­ti­on. Der sozia­lis­ti­sche Mensch­heits­traum in einem Bild ver­dich­tet: ein zusam­men­ge­krach­ter Aus­zieh­tisch. „Wie ein ver­un­glück­ter Vogel kam ihr der Aus­zieh­tisch vor. Die bei­den Plat­ten rag­ten schräg in die Luft. Das Zeug auf dem Fuß­bo­den: Ein­ge­wei­de eines ver­en­de­ten Tieres.“

Gleich­zei­tig gelingt es dem Autor, die Ele­men­te der Tat­säch­lich­keit so blei­läu­fig und unter der Hand ein­zu­streu­en. dass nur für einen kur­zen Moment der ideo­lo­gi­sche Nebel einen Blick auf die Wirk­lich­keit frei­gibt und man als Leser trai­niert wird, die Gele­gen­heit nicht zu ver­pas­sen. Ein in jeder Hin­sicht gelun­ge­nes Buch.