Wer noch ein Mensch ist woll­te in den letz­ten Mona­ten in Isra­el leben. Nicht im Isra­el des stän­di­gen Rake­ten­be­schus­ses und der Schutz­bun­ker; nicht im Isra­el, das immer noch ein Mas­sa­ker erlebt; nicht im Isra­el, in dem die eige­nen Kin­der in der Armee kämp­fen, und es jeder­zeit an der Tür klop­fen kann. Wer noch ein Mensch ist will in Isra­el leben, weil die nor­ma­len Israe­lis offen­bar Res­sour­cen und Mög­lich­kei­ten haben, von denen wir hier nur träu­men kön­nen. Vie­les was bei uns kin­disch und bizarr ist, ist in Isra­el schlicht­weg unmög­lich. Das hat mit der lang­jäh­ri­gen Erfah­rung eines All­tags an der Gren­ze und mit der jüdi­schen Reli­gi­on selbst zu tun. 

Die Gren­ze als Faktenchecker

Israe­lis gehö­ren zu jenen im deka­den­ten Wes­ten, die rea­le Not und Not­wen­dig­keit von fik­ti­ven selbst­ge­mach­ten Kri­sen unter­schei­den kön­nen müs­sen. Auch wenn sie sich durch die WHO, den Welt­kli­ma­rat und die eige­nen Leu­te hin­ters Licht füh­ren las­sen, gibt es doch einen spe­zi­fisch israe­li­schen Rea­li­täts­check: die Gren­ze zu Gaza, Ägyp­ten, Jor­da­ni­en, zur West­bank, zu Syri­en und zum Liba­non. Auf­grund die­ses Fak­ten­checks ist Isra­el wohl das ein­zi­ge Land im Wes­ten, das noch das hat was alle wol­len: Natio­nal- und Gemein­schafts­ge­fühl, Nach­bar- und Freund­schaft, Fami­li­en und Kin­der. Dort gehö­ren bei­spiels­wei­se Erwar­tun­gen und Hoff­nun­gen an einen ernst­haf­ten Jour­na­lis­mus, eine funk­tio­nie­ren­de Armee oder an die Mög­lich­keit durch täg­li­che Demons­tra­tio­nen die Regie­rung zu einem bes­se­ren Han­deln zu ver­an­las­sen, noch zur Nor­ma­li­tät. Wer­den die­se Erwar­tun­gen ent­täuscht gibt es laut­star­ke Kri­tik und mas­si­ven Druck auf die Ver­ant­wort­li­chen. Ver­ant­wort­li­che zu ken­nen und zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen ist für das täg­li­che Leben dort über­le­bens­not­wen­dig. Die israe­li­sche Nor­ma­li­tät klingt für uns wie ein demo­kra­ti­sches und mensch­li­ches Schla­raf­fen­land. Wer also noch Mensch sein will, den wird es nach Isra­el zie­hen. Auch wenn es eine Idea­li­sie­rung ist kann ich nur raten, einen Besuch zu wagen. Der Rea­li­täts­check kommt von selbst und im Schock ist nie­mand allein. Nur eines ist manch­mal schwer in Isra­el zu bekom­men, selbst gewähl­te Ein­sam­keit. Wer die sucht muss wie Jesus in die Wüste.

Das Jeru­sa­lem Syndrom

Wenn Chris­ten Isra­el besu­chen kommt es immer wie­der vor, dass man­che durch­läs­si­ge See­le die Chris­tus­ener­gie zu sehr in sich wir­ken lässt und glaubt selbst Jesu von Naza­reth zu sein. Die medi­zi­ni­sche Erklä­rung hebt dar­auf ab, dass die­se Men­schen den Wider­spruch zwi­schen vor­ge­stell­ter, bibli­scher Rea­li­tät und dem Wahn­sinn der israe­li­schen Wirk­lich­keit nicht aus­hal­ten und daher eine Per­sön­lich­keits­spal­tung erle­ben. Auf­grund eige­ner Erfah­run­gen habe ich star­ke Zwei­fel an die­ser Erklä­rung und wür­de das Argu­ment umdre­hen: Wer län­ge­re Zeit in Jeru­sa­lem ver­bringt und dabei nicht an die tiefs­ten Fra­gen des eige­nen Mensch­seins rührt, der hat ein Pro­blem. Wer die dich­ten und engen Wege der Alt­stadt und der Via dolo­ro­sa geht und nicht an dem schier unlös­ba­ren Pro­blem des Zusam­men­le­bens von so vie­len Indi­vi­du­en, die wenig Talent für Gemein­schaft und Zivi­li­sa­ti­on mit­brin­gen, ver­zwei­felt - was für ein Mensch ist das? Man muss nicht Christ sein, um den Schmerz zu spü­ren, den gro­ßen mensch­li­chen Her­aus­for­de­run­gen nicht gewach­sen zu sein. Wer sich fra­gen will, war­um wir immer wie­der in gewalt­tä­ti­gen Lösun­gen ste­cken blei­ben, ist hier am rech­ten Ort. Wer die eige­ne und kol­lek­ti­ve Selbst­ge­fäl­lig­keit fei­ern will, ist hier fehl am Platz. Daher ist Jeru­sa­lem eine Form der depri­mie­ren­den Deka­denz-Behand­lung. Hilf­reich depri­mie­rend gegen selbst­zer­stö­re­ri­schen Indi­vi­dua­lis­mus; hilf­reich depri­mie­rend gegen selbst­ge­fäl­li­ge Kata­stro­phen­sucht. Es mag schnel­ler wir­ken­de, che­mi­sche Medi­ka­men­te geben, aber ich ken­ne kein län­ger­fris­tig wir­ken­des als Jeru­sa­lem. Wie immer geht es um die Dosis. Über­do­siert führt die­se The­ra­pie zum Jerusalem-Syndrom.

Für Chris­ten bleibt Jeru­sa­lem eine Irri­ta­ti­on. Angeb­lich gelingt es uns die Leis­tung der Juden durch den Glau­ben an Chris­tus aus­zu­hal­ten und uns von Jeru­sa­lem frei zu machen. Tat­säch­lich wis­sen wir aber, wie schwer es uns in den letz­ten 2000 Jah­ren fiel, die über­ra­gen­de Vor­ar­beit des Juden­tums zu bewah­ren, geschwei­ge denn sie zu überbieten.

Frei­heit ohne Menschenopfer

Die Ent­wick­lung der jüdi­schen Gemein­de­pra­xis und Theo­lo­gie hat die Frei­heit des Men­schen als zen­tra­len Bestand­teil der Bezie­hung zu Gott auf Dau­er instal­liert. Der offen­kun­digs­te Aus­druck die­ser Leis­tung ist die end­gül­ti­ge Abschaf­fung des gott­ge­fäl­li­gen Men­schen­op­fers: Es gibt kei­ne aber auch wirk­lich kei­ne Recht­fer­ti­gung dafür, Men­schen einem wie auch immer gear­te­ten reli­giö­sen, poli­ti­schen oder ande­ren Zweck zu opfern. Die­se Ent­wick­lung des Juden­tums ist die Grund­la­ge libe­ra­ler Demo­kra­tie und der Grund­rech­te (bill of rights) als Schutz vor dem Opfer­zwang des Staa­tes. Das Opfer­ver­bot in der Ver­si­on der libe­ra­len Repu­blik lau­tet: Kei­ne Soli­da­ri­tät recht­fer­tigt das Opfer indi­vi­du­el­ler Schutz­rech­te oder gar der Ein­zel­nen selbst. Das Opfer­ge­schrei der Medi­en lau­tet aber: Soli­da­ri­tät in der Kata­stro­phe ist Zwang und recht­fer­tigt alles. Das heu­ti­ge Wort für Opfer lau­tet Katastrophe. 

In der Kata­stro­phe kol­lek­tiv zu reagie­ren und die Rech­te der Ein­zel­nen nicht mit Füs­sen zu tre­ten - das ist nur durch den Opfer­ver­zicht mög­lich gewor­den. Der per­ma­nen­te Opfer­ver­zicht wur­de Gott selbst zuge­schrie­ben und gilt unab­hän­gig von mensch­li­chen Lau­nen und poli­ti­schen Umstän­den. Es gibt im Juden­tum der letz­ten 2000 Jah­re kei­ne reli­giö­se Recht­fer­ti­gung dafür, das eige­ne oder das Leben der ande­ren für irgend­ei­nen gött­li­chen Zweck zu zer­stö­ren. Selbst­ver­tei­di­gung oder Selbst­tö­tung aus Ver­zweif­lung ist eine ande­re Ange­le­gen­heit. Poli­tisch moti­vier­te Selbst­mord­at­ten­ta­te ent­stan­den im Chris­ten­tum und Islam. Die radi­ka­le Absa­ge ans gott­ge­fäl­li­ge Men­schen­op­fer ist ein­zig­ar­tig in der Gat­tungs­ge­schich­te und bie­tet immer wie­der Anlass für neid-getrie­be­nen Hass auf Juden. 

Stadt auf dem Berg

Das sym­bo­li­sche Jeru­sa­lem, die Stadt im Wes­ten und die Stadt des Frie­dens steht seit dem 17. Jhdt. für die Hoff­nung auf ein bes­se­res Leben in Frei­heit und Wohl­stand (city upon a hill). Die rea­le Stadt Jeru­sa­lem sym­bo­li­siert heu­te immer noch die radi­ka­le Abkehr vom Men­schen­op­fer. Wer hier Zeit ver­bringt, kann dem Ein­ge­mach­ten der mit­tel­mee­ri­schen Zivi­li­sa­ti­on begeg­nen; der Wie­ge einer Zivi­li­sa­ti­on, die bereit ist indi­vi­du­el­le, geis­ti­ge und poli­ti­sche Frei­heit in einem kom­ple­xen Ver­hält­nis der Ein­zel­nen zur Gemein­schaft (der Fami­lie, des Stam­mes und Staa­tes) aus­zu­han­deln. Es ist daher kein Zufall, dass der Satz „Es gibt kein Recht auf Gehor­sam“ von einer säku­la­ren Jüdin stammt, die ein Buch über „Eich­mann in Jeru­sa­lem“ geschrie­ben hat und dafür von ihrem eige­nen Stamm aufs schärfs­te kri­ti­siert wur­de. Schon die For­mu­lie­rung „säku­la­re Jüdin“ ist eine unsin­ni­ge Ver­dop­pe­lung im Juden­tum. Ursprüng­lich wur­de das Wort „säku­lar“ für Mön­che ver­wen­det, die das klös­ter­li­che Leben ver­las­sen und sich als Pries­ter unters Volk bege­ben haben. Wenn wir „säku­lar“ also mit „reli­gös im Welt­li­chen“ über­set­zen wäre Han­nah Are­ndt eine „Jüdin im Welt­li­chen“ - was denn sonst? 

Auch Jeru­sa­lem ist ein rea­ler Ort der Begeg­nung und Rei­bung zwi­schen den geis­ti­gen und poli­ti­schen Ambi­tio­nen der drei west­li­chen und mono­the­is­ti­schen Reli­gio­nen. Der wun­de Punkt der Rei­bun­gen zwi­schen Juden einer­seits und Mos­lems und Chris­ten ande­rer­seits ist die reli­giö­se Inter­pre­ta­ti­on des Ver­hält­nis­ses von Ideo­lo­gie, Lüge und Wahr­heit. Juden müs­sen sich im argu­men­ta­ti­ven Kampf mit ihrem Gott bewäh­ren. Fal­sches Zeug­nis abzu­le­gen gehört zu den schlimms­ten Ver­ge­hen gegen das Bünd­nis mit Gott, mit der eige­nen Gemein­schaft und mit sich selbst (8. Gebot). Im Islam darf und muss gelo­gen wer­den, um die Wider­sa­cher zu täu­schen. Das haben Frie­dens­ak­ti­vis­ten immer wie­der schmerz­lich erlebt. 

Wir Chris­ten kön­nen uns auf Pau­lus aus­ru­hen, der sei­nen Brü­dern und Schwes­tern im Ange­sicht der rea­len Kata­stro­phe und begon­ne­nen End­zeit ein „Leben-als-ob“ emp­foh­len hat. Das Aus­blei­ben der End­zeit oder die man­geln­de Geduld ob ihrer lan­gen Dau­er, hat dazu geführt, dass Chris­ten nach welt­li­chen Kata­stro­phen suchen, denen sie eine heil­brin­gen­de, spi­ri­tu­el­le End­zeit­stim­mung abge­win­nen kön­nen. Die Recht­fer­ti­gung von Lügen­ge­bäu­den, sind dann kaum noch von wil­lent­li­cher Selbst­täu­schung oder einem „Leben-als-ob“ zu unter­schei­den. Daher fin­den ins­be­son­ders west­li­che Chris­ten ihr „Jeru­sa­lem-als-ob“ immer wie­der in welt­li­chen Kata­stro­phen­sze­na­ri­en. Im rea­len Isra­el fin­den sie sich dann selbst und am Grenz­zaun oder im Gaza­strei­fen wie­der. Für eine klei­ne aber sehr lau­te Min­der­heit ist der Grenz­zaun zwi­schen Gaza und Isra­el ein Ort der heil­sa­men Kata­stro­phe - die aktu­el­le Ver­si­on der Recht­fer­ti­gung des Menschenopfers. 

In Isra­el und an des­sen Gren­zen pral­len Kul­tu­ren und Zivi­li­sa­tio­nen auf­ein­an­der. Hier wer­den Kon­flik­te real und ihre Lösung exis­ten­zi­ell. Es betrifft alle und es braucht (fast) alle für eine gelin­gen­de, gewalt­freie Lösung. Die Stadt auf dem Berg ist ein Hoff­nungs­zei­chen, dass es Wege gab und gibt, die­se Kon­flik­te ohne Gewalt zu lösen. Wir brau­chen sol­che Hoff­nungs­zei­chen von jenen, die haut­nah mit die­sen Kon­flik­ten leben.

Jeru­sa­lem ist Front­stadt, Isra­el ist Friedensmodell

Was vie­le im Wes­ten nicht mehr ver­ste­hen kön­nen oder wol­len: Es gibt eine Front, eine exis­ten­ti­el­le Gren­ze. Ein Name (ha shem) und ein Ort (ha makom) die­ser Gren­ze ist „Jeru­sa­lem“. Für eini­ge Jah­re haben vie­le gehofft, die Gren­ze könn­te ver­scho­ben wer­den und nur noch ent­lang des Gaza-Strei­fens oder der West­bank ver­lau­fen. Das hat sich als unbe­grün­de­te Hoff­nung erwie­sen. Im Gegen­teil, die Paläs­ti­nen­ser und ihre Ver­bün­de­ten im Wes­ten woll­ten seit lan­gem die­se Gren­ze und die­sen Kon­flikt inter­na­tio­na­li­sie­ren; das ist ihnen gelun­gen. Heu­te ver­läuft die­se Gren­ze auch durch unse­re Städ­te und Gemein­den. In Isra­el ist sie deut­lich sicht­bar und anzu­fas­sen, real und töd­lich. Die Situa­ti­on in Isra­el ist durch die Mischung aus dau­er­haf­tem Kriegs­zu­stand im Außen­ver­hält­nis und dau­er­haf­ter Kul­tur­an­stren­gung der fried­li­chen Ko-Exis­tenz im Inne­ren gekenn­zeich­net. Daher trägt Isra­el das Modell für einen Weg zur fried­li­chen Ko-Exis­tenz mit sei­nen Nach­barn in sich: Äuße­re Sicher­heit und inne­rer Koexis­tenz. Das weit­ge­hend gewalt­lo­se und fried­li­che Zusam­men­le­ben völ­lig gegen­sätz­li­cher Grup­pen und Inter­es­sen auf engs­tem Raum ist Vor­bild und Beweis, dass eine Lösung mög­lich ist. Was es bräuch­te: Ver­zicht auf die Recht­fer­ti­gung des Men­schen­op­fer zur Errei­chung poli­ti­scher Zie­le, kon­se­quent gewalt­lo­ser Wider­stand, demo­kra­ti­sche Pro­zes­se. Noch 1994 gaben über 80% der Paläs­ti­nen­ser in der West­bank und im Gaza­strei­fen an, Isra­el sei die stärks­te Demo­kra­tie in der gan­zen Welt, noch vor den USA. Erst die mas­si­ve Pro­pa­gan­da der paläs­ti­nen­si­schen Eli­ten und der Kol­laps der illu­sio­nä­ren Glei­chung der Frie­dens­be­we­gung („land for peace“) haben die­ses Bild nach­hal­tig ver­än­dert. Damals wäre noch ein paläs­ti­nen­si­scher Mar­tin Luther King mög­lich gewe­sen, der - ähn­lich der ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­rechts­be­we­gung - den Weg des gewalt­lo­sen Wider­stands bis zur Bil­dung eines fried­li­chen, paläs­ti­nen­si­schen Staa­tes an der Sei­te Isra­els vor­aus gegan­gen wäre. Aber die­ser Vor­schlag (von Haviv Ret­tig Gur) wider­spricht heu­te der Selbst­lü­ge und Fremd­lü­ge der meis­ten Akteu­re. Im Moment ist noch nicht ein­mal erkennt­lich, wer einen paläs­ti­nen­si­schen Mar­tin Luther King auch nur einen Tag vor einem Atten­tat schüt­zen könn­te. Mar­tin Luther King und Yitz­hak Rabin haben ihr Ange­bot Frie­den an Gewalt­ver­zicht zu kop­peln nicht über­lebt; aber Ehud Barak hat fünf Jah­re nach Rab­ins Ermor­dung (Camp David 2000, Taba 2021) das Undenk­ba­re getan und das Ange­bot maxi­mal erwei­tert: fast die gan­ze West­bank, Sied­lun­gen abbau­en, Gaza und Ost-Jeru­sa­lem als Haupt­stadt - und Ara­fat hat erneut das Undenk­ba­re getan und abge­lehnt. Es war damals mög­lich: Frie­den ohne uner­träg­li­che, gegen­sei­ti­ge Opfer; ein paar Kom­pro­mis­se und Zuge­ständ­nis­se auf bei­den Sei­ten, schmerz­haft wie jede Geburt, aber die Freu­de am Glück der Kin­der hät­te alles ver­ges­sen lassen.

Wie so oft kris­tal­li­sie­ren sich die­se Fra­gen an der Bedeu­tung der Fami­lie und Kin­der. Im Juden­tum kann es kei­ne Recht­fer­ti­gung dafür geben, die eige­nen Kin­der in Krie­ge zu schi­cken, die nicht der puren Selbst­ver­tei­di­gung des Stam­mes und Staa­tes die­nen. Reli­giö­se, ideo­lo­gi­sche, sozi­al oder kli­ma­tisch moti­vier­te Kreuz­zü­ge sind nie­mals reli­gi­ös begründ­bar. Dage­gen steht die offen­bar geziel­te Zer­stö­rung von Fami­li­en durch die Hamas. In einem kaum zu ertra­gen­den Inter­view beschreibt Cochav Elka­yam-Levy die Poli­tik der geziel­ten Schän­dung und Ermor­dung von Frau­en und Kin­dern, um gan­ze Fami­li­en auszulöschen.

Ver­dorr­te Hoff­nun­gen, erfri­schen­des Jerusalem

Nach­dem Ara­fat abge­lehnt hat was Paläs­ti­nen­ser Jahr­zehn­te ersehnt haben sind alle Hoff­nun­gen auf eine fried­li­che Lösung durch eine Zwei-Staa­ten-Lösung ver­dorrt. Die israe­li­sche Lin­ke ist dadurch eben­so aus­ge­trock­net und mar­gi­na­li­siert. Das schei­nen vie­le außer­halb Isra­els nicht mit­be­kom­men zu haben. Im Gegen­zug haben sich in die­se loka­le Dür­re drei Strö­mun­gen der eben­so an geis­ti­ger und mensch­li­cher Mager­sucht lei­den­den, west­li­chen Wohl­stands­ge­sell­schaft gemischt und dem loka­len Kon­flikt den kit­schi­gen Zucker­guss einer glo­ba­len Befrei­ungs­be­we­gung ver­passt. In Isra­el nimmt das nie­mand, der ernst genom­men wer­den will, ernst. Das erfri­schen­de an Isra­el und dem Juden­tum ist die Gelas­sen­heit der Absa­ge an die drei Grund­an­nah­men der Ideo­lo­gie oder Reli­gi­on unse­rer Tage: Selbst­ver­gött­li­chung, Theo­kra­tie, Kata­stro­phen­lust. Die jüdi­sche Tra­di­ti­on ist eine stän­di­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sen drei Sün­den der Mensch­heit. Es ist auch ein uner­schöpf­li­ches Reser­voir an Absa­gen und Wider­stand gegen deren Versuchungen:

1. Eine Absa­ge an die Selbst­ver­herr­li­chung des Men­schen und des Staa­tes ( = an die Reli­gi­on der inter­na­tio­na­len Insti­tu­tio­nen und des Sozialismus).

2. Eine Absa­ge an die frei­wil­li­ge Selbst­un­ter­wer­fung unter die Theo­kra­tie ent­täusch­ter Impe­ria­lis­ten ( = an den gegen­wär­tig domi­nie­ren­den Islam und die WHO/WEF-Visi­on der Weltregierung).

3. Eine Absa­ge an den per­ma­nen­ten Not­stand der insze­nier­ten Kata­stro­phe als erlö­sen­de Apo­ka­lyp­se im End­kampf gegen Natur (Kli­ma) und Krank­heit (= an die christ­lich ange­hauch­te Recht­fer­ti­gung des Men­schen­op­fers als gesell­schaft­li­che Soli­da­ri­tät der guten Menschen).

Die­se drei­fa­che Absa­ge gilt auch den damit ver­bun­de­nen, poli­ti­schen Mäch­ten, die seit Ende des 19. Jahr­hun­derts mas­siv Fahrt auf­ge­nom­men und sich - trotz ihrer Wider­sprüch­lich­keit - immer wie­der zusam­men­ge­schlos­sen haben. Ihr gemein­sa­mes Ziel ist die Ver­hin­de­rung einer Heim­stät­te für Juden und des Staa­tes Isra­el. Alle drei Strö­mun­gen jam­mern noch heu­te über ihr ver­lo­re­nes Impe­ri­um und geben sich anti-impe­ria­lis­tisch. Wer sich heu­te ganz sicher ist, es kön­ne kei­ne Koali­ti­on von sozia­lis­ti­schen Anti-Impe­ria­lis­ten mit mus­li­mi­schen Impe­ria­lis­ten, also kein grün-sozia­lis­ti­sches Kali­fat geben, ist gut bera­ten sich mit der Geschich­te der Regi­on seit 1881 zu befas­sen. Seit­dem die ers­ten jüdi­schen Flücht­lin­ge nach den Pogro­men in Russ­land 1881 im osma­ni­schen Impe­ri­um (Kali­fat mit Sitz in Istan­bul) auf­ge­nom­men wur­den, wer­den Juden als miss­lie­bi­ge Stö­ren­frie­de und Fremd­kör­per in der Regi­on behan­delt. Ob als mög­li­che rus­si­sche Spio­ne nach 1881 oder als nicht zu trau­en­den Ver­bün­de­ten der impe­ria­len Mäch­te Deutsch­land, Frank­reich oder Eng­land (nach 1918); ob als athe­is­tisch-sozia­lis­ti­sche Bedro­hung des mus­li­misch-ara­bi­schen Natio­na­lis­mus (nach 1948) oder heu­te als Ver­bün­de­te des west­li­chen Kapi­ta­lis­mus und der USA - die Juden Paläs­ti­nas wur­den von den impe­ri­al geson­ne­nen, mus­li­mi­schen und ara­bi­schen Eli­ten ger­ne als Agen­ten des Impe­ria­lis­mus dar­ge­stellt. Der Hass auf Juden ver­eint auch jene, die jeder Zeit und ande­ren Orts bereit sind sich gegen­sei­tig den Gar­aus (Jemen, Syri­en, Irak, Paki­stan) zu machen. Dass Juden aus Russ­land und Euro­pa sowie aus den mus­li­mi­schen und ara­bi­schen Län­dern des Nahen Osten geflüch­tet sind, weil ihnen die dor­ti­gen Impe­ri­en schlimms­te Gewalt anta­ten, wur­de und wird nicht gese­hen. Damals wie heu­te domi­niert ein von Ent­täu­schung über das ver­lo­re­ne Welt­reich gepräg­ter Blick. Beson­ders bit­ter war es für die ara­bi­schen und mus­li­mi­schen Eli­ten anzu­er­ken­nen, dass die eige­ne, impe­ria­le Reli­gi­on das größ­te Hin­der­nis für den Erhalt der Groß­macht war. Spä­tes­tens Ende des 19. Jahr­hun­derts war dem Kali­fen und allen klar, dass das osma­ni­sche Reich chan­cen­los gegen die geis­ti­gen und tech­ni­schen Ent­wick­lun­gen des Wes­tens war. Die mus­li­mi­sche Welt hat es über Jahr­hun­der­te ver­passt eine eige­ne Zivi­li­sa­ti­on auf­zu­bau­en und wur­de daher Stück für Stück von den euro­päi­schen Impe­ri­en über­nom­men. Die Ent­täu­schung der impe­ria­len Träu­me führt bis heu­te zum Vor­wurf man­geln­der, inner-ara­bi­scher oder inner-mus­li­mi­scher Soli­da­ri­tät. Der geis­ti­ge Vater und Namens­ge­ber der Bri­ga­den und Rake­ten der Hamas, Izz ad-Din al-Qas­sam, ist die Ver­kör­pe­rung die­ser ver­bit­ter­ten und gewalt­tä­ti­gen Tra­di­ti­on. Aus die­ser Gefühls­la­ge ist zu ver­ste­hen, war­um die Hamas (= ara­bi­scher Wider­stand) weder das Wort Paläs­ti­na im Namen trägt noch beson­ders am Schick­sal des paläs­ti­nen­si­schen Vol­kes inter­es­siert ist. Jede Gewalt­tat gegen Juden wird mit der Begleit­mu­sik der ent­täusch­ten Bru­der­schaft unter­malt: dem Auf­ruf an die mus­li­mi­schen und ara­bi­schen Eli­ten sich end­lich dem Auf­stand (Inti­fa­da) anzu­schlie­ßen. Seit eini­ge ara­bi­sche Staa­ten die Zwangs­so­li­da­ri­tät mit Paläs­ti­nen­ser-Orga­ni­sa­tio­nen (von Fatah über Hamas bis isla­mi­scher Jihad) auf­ge­ge­ben und die „Abra­ham Accords“ unter­zeich­net haben, wur­de das Ende die­ser Peri­ode ein­ge­läu­tet. Die Paläs­ti­nen­ser-Orga­ni­sa­tio­nen haben sich auf Gei­sel­nah­me spe­zia­li­siert, aber aus­ge­rech­net die eige­nen ara­bi­schen Brü­der wol­len nicht län­ger Gei­seln der poli­ti­schen Inkom­pe­tenz oder selbst­zer­stö­re­ri­schen Poli­tik der PLO und Hamas sein; sie wol­len sich ihre eige­nen Ambi­tio­nen und Visio­nen für eine auf­stre­ben­de Regi­on nicht län­ger von Tehe­ran oder vom Ter­ror der PLO zer­stö­ren las­sen. Daher rich­ten sich heu­te die Auf­ru­fe der sun­ni­ti­schen Hamas vor allem an die schii­ti­schen Erz­fein­de. Wenn eine sun­ni­ti­sche Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on sich von einem schii­ti­schen Staat finan­zie­ren und füh­ren lässt ist das ent­we­der eine brenz­lig-insta­bi­le Bru­der­schaft unter Erz­fein­den oder aber der ver­zwei­fel­te Ver­such sich an die eige­nen Hen­ker zu ver­kau­fen. Für jene Paläs­ti­nen­ser, die ein Leben in Frie­den, Frei­heit und Wohl­stand wol­len, ist die­se Alli­anz ein trau­ri­ger Beweis, auf wel­chen Abwe­gen sich ihr Traum von einem eige­nen Staat heu­te befindet. 

Die ein­zi­ge Hoff­nung liegt der­zeit im erklär­ten Wil­len vie­ler Bewoh­ner der Regi­on, eine bes­se­re Zukunft auf der Basis der gemein­sa­men Kind­schaft zu gestal­ten: Wir sind alle Kin­der von Abra­ham, Sarah und Hagar. Für die Rea­li­sie­rung die­ser Hoff­nung wer­den sich die regio­na­len Akteu­re auf die Erfah­run­gen der israe­li­schen Gesell­schaft stüt­zen, trotz extre­mer Gegen­sät­ze ein gewalt­frei­es und freu­di­ges Mit­ein­an­der demo­kra­tisch gestal­ten zu kön­nen: mit Natio­nal- und Gemein­schafts­ge­fühl, in Nach­bar­schaft und Freund­schaft, mit rie­si­gen Fami­li­en und vie­len Kin­dern. Jeru­sa­lem ist der Ort an dem die Kin­der in Zukunft gemein­sam spie­len wer­den, wäh­rend ihre Eltern sich mit hit­zi­gen Argu­men­ten die Köp­fe heiß reden. Alle wol­len nach Jeru­sa­lem, ich auch.

Karo­ly Oppen­au­er lebt mit Fami­lie in Deutsch­land und wür­de lie­ber in Jeru­sa­lem leben.