Ein 22-jäh­ri­ger, halb­wegs nor­ma­ler Jun­ge aus halb­wegs nor­ma­lem Eltern­haus erschoss auf einem Uni-Cam­pus einen 31-jäh­ri­gen Fami­li­en­va­ter vor den Augen sei­ner Frau und sei­ner bei­den klei­nen Kin­der und gab an, so wur­de ver­brei­tet, er hät­te dies tun müs­sen, weil der Mann ein Faschist sei. Das her­aus­ra­gen­de Merk­mal des erschos­se­nen Char­lie Kirk war, dass er das Gespräch vor allem in den Milieus gesucht hat, die dezi­diert ande­rer Mei­nung waren als er. Man hat die­sen Mord schon kurz dar­auf iko­ni­siert und mit Mar­tin Luther King oder Ken­ne­dy ver­gli­chen. Ein deut­scher Kom­men­ta­tor ver­merk­te, damit sei der letz­te Kon­ser­va­ti­ve erschos­sen wor­den, der noch an die Mög­lich­keit des Gesprächs glaub­te. Wur­de er erschos­sen, weil er eine Bre­sche in die Front schlug?

Kürz­lich ent­zün­de­te sich eine inter­es­san­te Dis­kus­si­on auf x. Ich hat­te die The­se ver­tre­te­nen, dass Anti-Faschis­mus eine Ideo­lo­gie Sta­lins sei, die im Spa­ni­schen Bür­ger­krieg ent­ste­hen konn­te, weil kein ande­res euro­päi­sches Land der jun­gen spa­ni­schen Repu­blik zu Hil­fe eil­te. Wer sich heu­te als Anti-Faschist defi­nie­re, sei ein bil­dungs­fer­ner Idi­ot. Das wur­de vehe­ment mit dem Argu­ment bestrit­ten, der Anti-Faschis­mus sei der „nor­ma­ti­ve Kon­sens der Nach­kriegs­ord­nung“ und die Pflicht aller Gut­ge­sinn­ten. Ein zwei­ter sekun­dier­te: wer so etwas wie ich behaup­ten wür­de, hät­te nicht alle Tas­sen im Schrank. Bemer­kens­wert dar­an sind zum einen die Bil­dungs­fer­ne und zum ande­ren die Inten­si­tät, mit der etwas ver­tei­digt wird, was exis­ten­ti­ell-iden­ti­tä­ren Cha­rak­ter hat und des­halb nicht weg­ge­nom­men wer­den darf. Die­se Form des Anti-Faschis­mus hat Fetisch-Charakter.

Es könn­te sich also loh­nen, dem etwas genau­er nach­zu­ge­hen. Durch die Schwä­che der ande­ren konn­te sich Sta­lin im Spa­ni­schen Bür­ger­krieg zu einem Zeit­punkt als Ret­ter von Frei­heit und Repu­blik insze­nie­ren, als in der Sowjet­uni­on der Gro­ße Ter­ror tob­te und die Aus­rot­tung durch Hun­ger weni­ge Jah­re zuvor in der Ukrai­ne bereits Mil­lio­nen Tote gefor­dert hat­te (Holo­do­mor). Zu den weni­gen, die das Aus­maß der Kluft zwi­schen Ideo­lo­gie und Wirk­lich­keit ver­stan­den, gehör­te Geor­ge Orwell, der in Spa­ni­en vor Ort war. Sta­lin hat­te pro­pa­gan­dis­tisch freie Bahn, weil die euro­päi­schen Län­der, die es hät­ten wis­sen kön­nen, der spa­ni­schen Restau­ra­ti­on einer erz­re­ak­tio­nä­ren feu­da­len Ord­nung taten­los zusa­hen. Zu die­sem Zeit­punkt bedeu­te­te Faschis­mus ein uraltes feu­da­les Herr­schafts­mo­dell, dass sich auf die tra­di­tio­nel­len Gewal­ten von Mili­tär, Kir­che und Groß­grund­be­sitz stütz­te und jede Moder­ni­sie­rung, jede Par­ti­zi­pa­ti­on an der Macht verweigerte.

Nach dem Krieg wur­de die anti-faschis­ti­sche Ideo­lo­gie rund­erneu­ert und auf alles aus­ge­wei­tet, was aus sozia­lis­ti­scher Per­spek­ti­ve als wider­spruchs­freie Uto­pie der Mensch­heit bezeich­net wer­den kann. Die DDR, das Kind Sta­lins, ent­sorg­te jeg­li­che Ver­ant­wor­tung für die deut­sche Geschich­te gen Wes­ten in Rich­tung impe­ria­lis­ti­scher Klas­sen­feind und mach­te aus dem Anti-Faschis­mus die Staats­rä­son des bes­se­ren Deutsch­land. Da das Ame­ri­ka, ohne des­sen öko­no­mi­sche Unter­stüt­zung der gro­ße Vater­län­di­sche Krieg nicht gewon­nen wor­den wäre, auf die ande­re Sei­te der Revo­lu­ti­on ver­la­gert wur­de, konn­te sich die Sowjet­uni­on zu einem Zeit­punkt als Ret­ter der Mensch­heit vor dem Zivi­li­sa­ti­ons­bruch insze­nie­ren, als auf der Ebe­ne der tat­säch­li­chen Ereig­nis­se gro­ße Tei­le des tota­li­tä­ren Herr­schafts­mo­dells in den sowje­tisch beset­zen Räu­men bruch­los fort­ge­setzt wur­den. Von den SPD-Anhän­gern, die sich der Zwangs­ver­ei­ni­gung zur SED wider­setz­ten, lan­de­ten etli­che, man spricht von 5.000, zum Teil in den glei­chen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, aus denen sie kurz zuvor von der Roten Armee befreit wor­den waren. Mit dem rund­erneu­er­ten Anti-Faschis­mus ver­schwand jede Dif­fe­ren­zie­rung. Faschis­mus war jetzt alles, was nicht sta­li­nis­tisch war, der feu­dal-restau­ra­ti­ve Fran­co und der radi­kal-revo­lu­tio­nä­re Hit­ler stan­den auf der glei­chen Sei­te der Front, ein Taschen­spie­ler­trick, der mit ent­spre­chen­den Ver­satz­stü­cken aus post­mar­xis­ti­scher Theo­rie­pro­duk­ti­on auf west­li­cher Sei­te unter­füt­tert wur­de. Are­ndts Ansatz, dass es sich bei den tota­li­tä­ren Ein­brü­chen um ein gänz­lich neu­es Herr­schafts­sys­tem han­de­le, dem mit den bekann­ten Kate­go­rien nicht bei­zu­kom­men sei, kur­sier­te nur unter Ein­ge­weih­ten. Ein Hin­weis auf CIA-Gel­der genüg­te, um den zag­haf­ten Ver­su­chen, nach 45 einen anti-tota­li­tä­ren Kon­sens in der Bun­des­re­pu­blik zu eta­blie­ren, die Legi­ti­ma­ti­on zu ent­zie­hen. Ent­täuscht schimpf­te Are­ndt schon zu Beginn der 50er über die Wie­der­kehr des „ver­stun­ke­nen Liberalismus“.

Mit den 68ern wur­de der Anti-Faschis­mus zur Ideo­lo­gie der Nach­kriegs­ge­nera­ti­on. Als ich zwan­zig war, waren alle ande­ren Faschis­ten, die nicht so waren wie ich und die klei­ne Grup­pe, der ich mich zuge­hö­rig füh­len woll­te: der Akten­kof­fer- und Schlips­trä­ger, der Bur­schen­schaft­ler, die alten Auto­ri­tä­ten aus Kir­che, Poli­tik und Uni­ver­si­tät, der RCDS, die Eltern, die Nach­barn aus den Spie­ßer­vier­teln; es bezog sich ohne Sinn und Ver­stand auf alles, was anders war. In einer Zeit gro­ßer Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit web­te der Anti-Faschis­mus einen Schlei­er um das Nichts und punk­te­te mit dem lee­ren Ver­spre­chen, ein Held zu sein, wenn man mit dem Fin­ger auf einen ande­ren zeig­te und ihn Faschist nannte. 

Die in der Dis­kus­si­on gefal­le­ne Kenn­zeich­nung als „nor­ma­ti­ver Kon­sens der Nach­kriegs­ord­nung“ ist des­halb so inter­es­sant, weil sie nur auf der ima­gi­nä­ren Ebe­ne exis­tiert. Sie ent­spricht einer infan­ti­len Wunsch­vor­stel­lung ohne Ambi­va­lenz und Rea­li­täts­prü­fung. Uto­pien die­ser Art kön­nen extrem aggres­si­ve Lei­den­schaf­ten gegen alles ent­wi­ckeln, was die Rein­heit der Ein­bil­dung beschmutzt. Als Wunsch­vor­stel­lung ver­weist sie auf eine Kon­se­quenz, die man real­po­li­tisch aus der tota­li­tä­ren Erfah­rung hät­te zie­hen müs­sen. Statt des­sen mach­te man wei­ter, als wäre nichts gesche­hen. Einen Nach­kriegs­kon­sens hat es nie gege­ben, er wur­de auch nie ange­strebt, ganz im Gegen­teil. Die­je­ni­gen, die jenes „wir“ ins Spiel brach­ten, das einen sol­chen Kon­sens hät­te dis­ku­tie­ren und erar­bei­ten kön­nen, wur­den mit aller Gewalt aus der Gemein­schaft der Guten aus­ge­schlos­sen (Jen­nin­ger, Sar­ra­zin, Pegi­da). Wenn es über­haupt einen Kon­sens gab, dann den unaus­ge­spro­che­nen, die deut­sche Fra­ge als Tabu zu behandeln. 

In die­ser Kon­stel­la­ti­on konn­te der Anti-Faschis­mus eine mehr­fa­che Lücke fül­len, weil ande­re die Lücke offen gelas­sen hat­ten. Die eine hat Nietz­sche prä­zi­se benannt: Gott ist tot und wir haben ihn getö­tet- die­se Lücke ver­weist auf den Ver­lust der Tran­szen­denz, den Ver­lust jenes Bereichs an Unheim­lich­keit, der außer­halb des Bekann­ten und Gewohn­ten liegt und eine Über­gangs­zo­ne benö­tigt, um mit ihm in Ver­bin­dung tre­ten zu kön­nen. Durch blos­ses Beto­nen christ­li­cher “Wer­te“ wird man sie nicht fül­len. Die zwei­te Lücke ent­stand im zwei­ten drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg zwi­schen 1914 und 1945. Chur­chill hat ein­mal bemerkt, dass alles, was er an halt­ge­ben­den Insti­tu­tio­nen und Gewohn­hei­ten ken­nen und schät­zen gelernt hat­te, in kur­zer Zeit zer­fal­len war. Aus der Erfah­rung eines Tra­di­ti­ons­bruchs hät­te die Her­aus­for­de­rung eines neu­en Tra­di­ti­ons Anfangs ent­ste­hen müs­sen, was, am meis­ten in Deutsch­land, kon­se­quent ver­mie­den wur­de. Die drit­te Lücke hin­ter­ließ die Kriegs­ge­nera­ti­on. Als die Gemein­wohl­auf­ga­ben erfüllt waren, die Trüm­mer besei­tigt, die Häu­ser, Fabri­ken und Infra­struk­tur leid­lich wie­der auf­ge­baut waren, gab es kei­ne gemein­sa­men Auf­ga­ben mehr, die man der nächs­ten Gene­ra­ti­on hät­te über­tra­gen kön­nen. Man zog sich ins Pri­va­te zurück. Ich kon­su­mie­re, also bin ich. Beim Gene­ra­tio­nen­kon­flikt war man nichts mehr und hat­te nichts mehr, was man in die Kon­flikt-Waag­scha­le hät­te wer­fen kön­nen, der Kon­flikt blieb aus und hin­ter­ließ eine maxi­mal ent­wur­zel­te, ori­en­tie­rungs­lo­se Gene­ra­ti­on. Sogar die selbst­ver­ständ­lichs­te Auf­ga­be, die nächs­te Gene­ra­ti­on zu recht­schaf­fe­nen Erwach­se­nen her­an zu zie­hen, die durch ihr täg­li­ches Tun das Recht erhält, statt es zu zer­stö­ren, blieb aus. Der Umgang mit den Unge­impf­ten in der „Pan­de­mie“ hat die deut­sche Lebens­lü­ge scho­nungs­los offen­bart - es kann jeder­zeit wie­der passieren.

Das Atten­tat in den USA ist in ers­ter Linie die Ver­ant­wor­tung des Schüt­zen selbst, aber in zwei­ter und drit­ter Linie auch eine Ver­ant­wor­tung der­je­ni­gen, die dem Schüt­zen kei­ne ande­ren Hel­den zur Ver­fü­gung stel­len. Die unbe­wäl­tig­te Nie­der­la­ge betrifft in den USA die Viet­nam­ge­ne­ra­ti­on, in Deutsch­land meh­re­re Gene­ra­tio­nen hin­ter­ein­an­der. MAGA ist die ame­ri­ka­ni­sche Vari­an­te einer Ant­wort auf die­ses Pro­blem. In Deutsch­land ist man noch unter­wegs zur Frage.