Offener Brief an den Fraktionsvorsitzenden der CDU in der Bremer Bürgerschaft Herrn Thomas Röwekamp

Sehr geehr­ter Herr Röwekamp,

sich eine eige­ne Mei­nung zu bil­den kos­tet Zeit, zuwei­len viel Zeit. Will man z.B. zur Fra­ge, war­um das pro­tes­tan­ti­sche Milieu in Deutsch­land eines der Haupt­ein­falls­to­re zur Ent­ste­hung einer natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Mas­sen­be­we­gung war, einen sub­stan­zi­el­len Bei­trag leis­ten, muss man sich in kom­ple­xe Zusam­men­hän­ge zwi­schen Ideen-, Struk­tur und Ereig­nis­ge­schich­te vertiefen.

Die media­le Erwar­tungs­hal­tung an Poli­ti­ker, zu allem und jedem eine mög­lichst kur­ze, leicht ver­ständ­li­che Stel­lung­nah­me abzu­ge­ben, führt jedoch dazu, dass immer mehr poli­tisch Ver­ant­wort­li­che eine fun­dier­te und abge­wo­ge­ne Mei­nung ver­mis­sen las­sen, was ins­ge­samt gese­hen die Qua­li­tät poli­ti­scher Ent­schei­dun­gen merk­lich ver­schlech­tert. Die eigent­li­che Bedeu­tung der gegen­wär­ti­gen Coro­na-Kri­se liegt weni­ger im medi­zi­ni­schen oder epi­de­mio­lo­gi­schen Bereich, son­dern dar­in, die ver­wund­bars­te Stel­le moder­ner Medi­en­de­mo­kra­tien west­li­chen Zuschnitts scho­nungs­los offen gelegt zu haben.

Die CDU-Frak­ti­on in der Bre­mer Bür­ger­schaft hat in Ers­ter Lesung am 14.05.2020 einem Antrag der Rot-Rot-Grün-Frak­tio­nen zur Ände­rung der Bre­mi­schen Lan­des­ver­fas­sung zuge­stimmt (Druck­sa­che 20/375). Der Ände­rungs­an­trag wird damit begrün­det, der ‚anti­fa­schis­ti­sche Geist der Bre­mer Lan­des­ver­fas­sung‘ müs­se drin­gend gestärkt werden.

Die dar­in ent­hal­te­ne For­mu­lie­rung: „… sowie ras­sis­ti­sche, anti­se­mi­ti­sche und wei­te­re men­schen­ver­ach­ten­de Het­ze nicht zuzu­las­sen, ist Ver­pflich­tung aller staat­li­chen Gewalt und Ver­ant­wor­tung jeder und jedes Ein­zel­nen“ hal­te ich für eine Steil­vor­la­ge zum poli­ti­schen Miss­brauch. Die Men­schen­ver­ach­tung kommt dar­in bei denen am klars­ten zum Vor­schein, die von sich behaup­ten, zu ihrer Bekämp­fung anzu­tre­ten. Bei all die­sen Begrif­fen, am aller­meis­ten beim Begriff „Het­ze“ han­delt es sich um Wort­hül­sen ohne Inhalt. Sie wer­den von Leu­ten ver­wen­det, die sich damit der sach­li­chen, poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung ent­zie­hen, häu­fig genug, weil sie man­gels ent­spre­chen­der Bil­dung dazu gar nicht mehr in der Lage sind. Mit der gebets­müh­len­ar­ti­gen Ver­wen­dung solch ent­wür­di­gen­der Eti­ket­ten zielt man auf die Ver­nich­tung des poli­ti­schen Geg­ners, auf den man in einer funk­tio­nie­ren­den Demo­kra­tie sowohl innen- wie außen­po­li­tisch ange­wie­sen ist. Der Ruf­mord ist hier nur die Vor­stu­fe einer phy­si­schen Ver­nich­tung, die in allen sozia­lis­ti­schen Ord­nun­gen zum gewöhn­li­chen Herr­schafts­in­stru­men­ta­ri­um gehört hat.

Dazu zwei Bemer­kun­gen: Anti­fa­schis­mus ist ein ideo­lo­gi­scher Kampf­be­griff, pro­pa­gan­dis­tisch ein­ge­führt von Sta­lin im Spa­ni­schen Bür­ger­krieg. Ihm fehlt, ins­be­son­de­re auf Deutsch­land bezo­gen, jede geschicht­li­che Sub­stanz. Es gab faschis­ti­sche Ord­nun­gen in Ita­li­en und Spa­ni­en. In Deutsch­land gab es eine natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Revo­lu­ti­on und Mas­sen­be­we­gung, wobei der ideen­ge­schicht­li­che Schwer­punkt auf dem sozia­lis­ti­schen und revo­lu­tio­nä­ren liegt, das ‚Natio­na­le‘ ent­stand zunächst aus der Abgren­zung gegen die kom­mu­nis­tisch ersehn­te Welt­re­vo­lu­ti­on, spä­ter aus der Riva­li­tät gegen Sta­lins eben­falls natio­na­le Begren­zung des Sozia­lis­mus. Zu Beginn des Zwei­ten Welt­kriegs hat nicht die Wehr­macht Polen über­fal­len, son­dern Hit­ler und Sta­lin haben sich gewalt­sam ein frei­es Land als Beu­te geteilt. Die Ver­ant­wor­tung für die Mas­sen­ver­nich­tung gro­ßer Tei­le der pol­ni­schen Intel­li­genz (Katyn) wur­de erst Jahr­zehn­te spä­ter von Gor­bat­schow offi­zi­ell ein­ge­räumt. Wenn ‚Anti­fa­schis­ten‘ von geschicht­li­cher Ver­ant­wor­tung reden, soll­ten man ihnen des­halb als aller­ers­tes einen gro­ßen Spie­gel vorhalten.

Zwei­tens: Der Anti­fa­schis­mus war und ist die Staats­rä­son der DDR-Dik­ta­tur und ihrer ideo­lo­gi­schen Nach­fol­ger. Sein eigent­li­cher Sinn ergibt sich dar­aus, dass die Kom­mu­nis­ten in der Sowje­tisch besetz­ten Zone kei­ne ein­zi­ge demo­kra­ti­sche Wahl gewan­nen und, um ihre Herr­schaft zu sichern, auf orga­ni­sier­te Lüge, ein mas­sen­wirk­sa­mes, regel­mä­ßig neu an die Wand gemal­tes Feind­bild und stets prä­sen­te Gewalt­an­dro­hung zwin­gend ange­wie­sen waren. Es gehört zu den beson­ders men­schen­ver­ach­ten­den Zügen des Genos­sen Ulb­richt, sich nach der Rück­kehr aus Mos­kau im Früh­jahr 1945 ange­sichts einer aus­ge­bomp­ten und aus­ge­hun­ger­ten Bevöl­ke­rung nicht etwa um die Lin­de­rung der Not, son­dern vor­ran­gig um die eige­ne Macht­si­che­rung geküm­mert zu haben.

Der Begriff „Het­ze“ hat als Teil poli­ti­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu ganz bestimm­ten Zei­ten Hoch­kon­junk­tur und wird von ganz bestimm­ten Grup­pie­run­gen ver­wen­det. In einer, was die betei­lig­ten Kräf­te anbe­langt, aus­ta­rier­ten, rund­lau­fen­den Demo­kra­tie kommt er eher sel­ten vor. Man kann sein ver­stärk­tes Auf­tre­ten daher auch als Indi­ka­tor einer gefähr­li­chen Schief­la­ge neh­men. Sie fin­den den Begriff in der Agi­ta­ti­on der extre­mis­ti­schen Par­tei­en in der Wei­ma­rer Repu­blik (zunächst der Kom­mu­nis­ten, spä­ter auch der Natio­nal­so­zia­lis­ten) und Sie fin­den ihn vor allem in der Anfangs­pha­se der Herr­schafts­si­che­rung der SED, inten­si­viert in der Zeit nach dem Volks­auf­stand. Es genügt, sich im Archiv Aus­ga­ben des ’neu­en deutsch­land‘ aus der Zeit nach dem 17. Juni 1953 vor­zu­neh­men, um die erstaun­li­che Ver­wandt­schaft dama­li­ger und heu­ti­ger Rhe­to­rik zu bemerken.

Wer heu­te anti­fa­schis­ti­sche Ideo­lo­gie gegen tota­li­tä­re Erfah­rung aus­spielt, zu Gulag und den sozia­lis­ti­schen Mensch­heits­ver­bre­chen schweigt, knüpft bewusst an die Tra­di­ti­on der unter­ge­gan­ge­nen DDR an, betreibt Geschichts­re­vi­sio­nis­mus und ver­höhnt die­je­ni­gen, die mit ihrem Mut und Frei­heits­wil­len wenigs­tens die zwei­te tota­li­tä­re Ord­nung auf deut­schem Boden aus eige­ner Kraft her­aus gestürzt haben. Soll­te die CDU-Frak­ti­on der Bre­mer Bür­ger­schaft mit ihren Stim­men eine sol­che Ver­fas­sungs­än­de­rung ermög­li­chen, müss­te ich kon­sta­tie­ren, dass Sie aus den zwei Dik­ta­tu­ren auf deut­schem Boden nicht viel gelernt haben kann. Eine sol­che Ent­schei­dung läge vom Niveau her auf glei­cher Ebe­ne, wie die ver­ab­scheu­ungs­wür­di­ge Ernen­nung einer SED-Kader Juris­tin und beken­nen­den Links­extre­mis­tin zur Ver­fas­sungs­rich­te­rin. Es kann bei ver­nünf­ti­ger Betrach­tung nicht im Sin­ne der CDU sein, das Risi­ko ein­zu­ge­hen, sich als Steig­bü­gel­hal­ter einer drit­ten sozia­lis­ti­schen Dik­ta­tur aus der Geschich­te zu verabschieden.

Bre­men, 26.05.2020
Boris Blaha

Nach­trag vom 29.05.2020: Der Ver­such, die Erfah­rung tota­li­tä­rer Ein­brü­che in eine anti­fa­schis­ti­sche, sprich sta­li­nis­ti­sche Ideo­lo­gie umzu­wan­deln, ist nicht neu. Bereits 2001 leg­te die PDS im Bun­des­tag eine ent­spre­chen­de Grund­ge­setz­än­de­rung vor. Man beach­te den Fort­schritt: 2001 will nur die PDS das Grund­ge­setz ändern, heu­te in Bre­men sind sich alle Par­tei­en einig, nur ein paar Unru­he­stif­ter der AfD spu­cken noch in die Suppe.

Dass die CDU heu­te kei­ne Berüh­rungs­ängs­te mehr vor Sta­li­nis­ten hat, zeig­te sich schon an der Ent­fer­nung des unta­de­li­gen Wis­sen­schaft­lers, Dr. Huber­tus Kna­be, eine Gemein­schafts­ak­ti­on von Moni­ka Grüt­ters (CDU) und Klaus Lede­rer (LINKE).

Damals gab es zumin­dest noch CDU-Abge­ord­ne­te mit Geschichtskenntnissen.

„Wolf­gang Göt­zer (CDU) erin­ner­te dar­an, dass das Grund­ge­setz „eine anti­to­ta­li­tä­re Ver­fas­sung“ ist. Der Abge­ord­ne­te ver­wies unter dem Geläch­ter der PDS auf die ideo­lo­gi­sche Geschich­te des Begrif­fes Anti­fa­schis­mus, den er zutref­fend als zen­tra­len „Kampf­be­griff und fes­ten Bestand­teil der kom­mu­nis­ti­schen Ter­mi­no­lo­gie und Stra­te­gie“ cha­rak­te­ri­sier­te. Als er sich zur „wehr­haf­ten Demo­kra­tie“ bekann­te, „die ent­schlos­sen ist, die Frei­heit gegen ihre Fein­de zu ver­tei­di­gen, gleich, woher die­se Fein­de kom­men, von rechts­au­ßen oder von links­au­ßen“, quit­tier­te die PDS die­se Ver­fas­sungs­in­ter­pre­ta­ti­on mit Geläch­ter.“ zitiert aus: Man­fred Wil­ke: Die „anti­fa­schis­ti­sche“ Republik

Publi­ziert auf: TUMULT - Maga­zin, tabu­lara­sa, Vera Lengs­feld