Anmer­kun­gen zu Dou­glas Mur­rays: „Der Selbst­mord Euro­pas

Die zahl­rei­chen War­ner wur­den ent­we­der ignoriert,
dif­fa­miert, weg­ge­schickt, ver­folgt oder umgebracht.
Dou­glas Murray

Der, wie mir scheint, wich­tigs­te Begriff des von Krisz­ti­na Koe­nen her­vor­ra­gend über­setz­ten Buches von Dou­glas Mur­ray ist cor­don sani­taire. Er taucht nur an ein oder zwei Stel­len auf, durch­zieht aber wie ein roter Faden das gesam­te Buch und arbei­tet in jedem Kapi­tel, auch dort, wo er nicht direkt genannt wird. In cor­don sani­tä­re steckt das eigent­li­che Rät­sel des Buches. Der Begriff, inhalt­lich eng ver­wandt mit dem der Qua­ran­tä­ne (einer Ant­wort auf die Pest), stammt ursprüng­lich aus der Seu­chen­me­di­zin und bezeich­net die räum­li­che Abson­de­rung eines Seu­chen- oder Infek­ti­ons­her­des mit dem Zweck, die Aus­brei­tung einer anste­cken­den und damit poten­ti­ell epi­de­mi­schen Krank­heit dadurch ein­zu­däm­men, dass man zwi­schen dem Ort, an dem die Krank­heit aus­ge­bro­chen ist und der Umge­bung einen men­schen­lee­ren Puf­fer aus­brei­tet. Zwi­schen den bereits Kran­ken und den noch Gesun­den ent­steht eine wüs­ten­haf­te, ver­bo­te­ne Zone, die eine Begeg­nung, einen Kon­takt oder gar ein Gespräch unmög­lich machen soll. Die eigent­li­che Fra­ge des Buches lau­tet: Wie konn­te es in dem auf­ge­klär­ten Euro­pa dazu kom­men, dass Wirk­lich­keit als eine gefähr­li­che Krank­heit wahr­ge­nom­men wird, vor der man sich mit allen Mit­teln, das schließt auch Mord und Tot­schlag ein, schüt­zen muss? Wovor hat das west­li­che Euro­pa sol­che Angst?

Schon die Vor­ge­schich­te der deut­schen Über­set­zung belegt den Ver­such, um den eng­li­schen Best­sel­ler einen deut­schen cor­don sani­taire zu zie­hen. Wäh­rend das eng­li­sche Ori­gi­nal im Früh­jahr 2017 bei einem mit knapp 600 Mit­ar­bei­ten nicht gera­de klei­nen Ver­lag erschie­nen war und schnell zum Best­sel­ler avan­cier­te, muss­te die deut­sche Über­set­zung bei einem Finanz­buch Ver­lag erschei­nen, der sich bis­lang eher im wirt­schaft­li­chen Bereich tum­mel­te. Neben Titeln wie „Gold­rausch im All“ oder „Die Revo­lu­ti­on der Geld­an­la­ge“ wür­de man nor­ma­ler­wei­se nicht die gegen­wär­tig prä­zi­ses­te Zustands­be­schrei­bung Euro­pas ver­mu­ten. Aber was ist schon nor­mal in die­sen beschleu­nig­ten Zei­ten. Die klas­si­schen geis­tes­wis­sen­schaft­lich und poli­tisch ori­en­tier­ten Ver­la­ge wie Suhr­kamp, Fischer, Piper etc. hat­ten eine deut­sche Über­set­zung abge­lehnt, obwohl die eng­li­schen Ver­kaufs­zah­len gute Gewin­ne ver­spra­chen. Die Grün­de der Ableh­nung kön­nen daher nicht im Öko­no­mi­schen gele­gen haben. Die deut­sche Über­set­zung ist Mit­te März erschie­nen. Der cor­don sani­taire über­trägt sich auf die Feuil­le­tons, die es mit eiser­nem Schwei­gen tot igno­rie­ren wollen. 

Zu Anfang sind es auch bei Mur­ray nur ein­zel­ne Mei­nun­gen, die einen klei­nen Aus­schnitt der Wirk­lich­keit in die Öffent­lich­keit über­tra­gen, aber sie wer­den nicht wie Mei­nun­gen behan­delt. Man strei­tet nicht mit ihnen. Man tötet die Stim­me, indem man die Exis­tenz des Spre­chers zer­stört. Es ist, als ob schon der klei­ne Aus­schnitt der Wirk­lich­keit ein Damm­bruch wäre, den man sofort mit zahl­rei­chen Sand­sä­cken wie­der abdich­ten müss­te, um Schlim­me­res zu ver­hin­dern. Dou­glas Mur­ray ver­sam­melt eine beein­dru­cken­de und erschre­cken­de Anzahl von Geschich­ten quer durch das west­li­che Euro­pa, die das gan­ze Aus­maß deut­lich machen. 1968 warn­te der kon­ser­va­ti­ve bri­ti­sche Poli­ti­ker Enoch Powell vor dem Gewalt­po­ten­ti­al, das man sich mit unge­re­gel­ter Zuwan­de­rung ins Land holen wür­de und zitier­te aus dem Brief einer älte­ren Dame, die von ihren Erfah­run­gen als ver­mut­lich letz­te Wei­ße in ihrer Stra­ße berich­te­te. Damals ging es noch um eine ein­zel­ne Stra­ße. Noch am sel­ben Tag ver­lor er sei­nen Pos­ten im Schat­ten­ka­bi­nett von Edward Heath und war poli­tisch tot. Sein Fall erin­nert, auch was die Geschwin­dig­keit der Exkom­mu­ni­ka­ti­on anbe­langt, an den des deut­schen Bun­des­tags­prä­si­den­ten Phil­ip Jen­nin­ger und er zeigt noch eine wei­te­re par­al­le­le Auf­fäl­lig­keit: die Kluft zwi­schen der öffent­li­chen und der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung, die sich seit­her kon­ti­nu­ier­lich ver­tieft. Mur­ray erwähnt, dass auch bei Powell die Mei­nungs­um­fra­gen eine deut­li­che Zustim­mung zu des­sen Ansich­ten signa­li­sier­ten. Inzwi­schen ist es die Kluft zwi­schen dem (noch) hege­mo­nia­len Dis­kurs der Weni­gen und den tat­säch­li­chen Erfah­run­gen der Vie­len. Und die Weni­gen set­zen alles dar­an, dass sich die Kluft nicht mehr fried­lich wird über­brü­cken las­sen. 1984 berich­te­te ein Schul­lei­ter in einer klei­nen Zeit­schrift über die Schwie­rig­kei­ten mit mus­li­mi­schen Kin­dern und ihren Eltern. Er wur­de ent­las­sen, gezwun­gen, sei­nen Beruf auf­zu­ge­ben und durf­te nie mehr im Bil­dungs­we­sen arbei­ten (S. 28). Zu den vie­len fast namen­lo­sen Opfern, bei denen nie­mand nach­fragt, was aus ihnen gewor­den ist, gesel­len sich die Pro­mi­nen­ten, deren gewöhn­li­ches Dasein von einem auf den ande­ren Tag been­det ist. Die ita­lie­ni­sche Jour­na­lis­tin Oria­na Fall­a­ci, die sich ihre Wut über die Dumm­heit ihrer Mit­bür­ger von der See­le schrieb, muss­te eben­so abge­son­dert und spe­zi­ell geschützt wer­den wie Sal­man Rush­die, der durch sei­nen Roman „Die sata­ni­schen Ver­se“ eine Fat­wa aus­ge­löst hat­te, oder auch der deutsch-ägyp­ti­sche Hamed Abdel-Samad, der aus Erfah­rung längst wuss­te, was auf uns zukommt und recht­zei­tig warn­te. „In Däne­mark und ande­ren euro­päi­schen Län­dern“, schreibt Mur­ray, leben Poli­ti­ker, die die Mas­sen­mi­gra­ti­on ableh­nen „fort­dau­ernd unter Poli­zei­schutz, sie wech­seln lau­fend Ihren Schlaf­platz und leben oft auf Mili­tär­stütz­punk­ten“ (S. 332). In Paris publi­zier­te ein Autor mit alge­ri­schen Wur­zeln in Le Mon­de einen Arti­kel über die sexu­el­len Angrif­fe der Sil­ves­ter­nacht in Köln. Sofort fiel eine aka­de­mi­sche Hetz­meu­te von Sozio­lo­gen, His­to­ri­kern und ande­ren ‘Intel­lek­tu­el­len’ über ihn her und dif­fa­mier­te ihn als isla­mo­phob (S. 337). In den Nie­der­lan­den fängt ein mar­xis­ti­scher und homo­se­xu­el­ler Hoch­schul­leh­rer an, sich inten­si­ver mit dem Islam zu beschäf­ti­gen. Er rea­li­siert schnell, dass sei­ne Lebens­wei­se in einer isla­mi­schen Hege­mo­nie kei­ner­lei Chan­ce mehr hät­te, weil dem Islam wesent­li­che Errun­gen­schaf­ten der west­li­chen Moder­ne wie die Tren­nung von Kir­che und Staat feh­len. Er wur­de von einem links­ra­di­ka­len Akti­vis­ten erschos­sen, der davon beseelt war, die Mus­li­me ver­tei­di­gen zu müs­sen (S. 149f). Wo die zuneh­men­de Gefähr­dungs- und Gewalt­er­fah­rung gan­zer Grup­pen wie z.B. der Frau­en und Müt­ter sich öffent­lich zu Wort mel­det, agiert der Staat bereits offen im Modus des Bür­ger­kriegs. Den Zer­fall der Rechts­ord­nung nimmt er in Kauf und bekriegt mit sei­nen media­len After­va­sal­len nicht nur die eige­nen Bür­ger, er bekriegt inzwi­schen die Wirk­lich­keit als sol­che. Wer über die Wirk­lich­keit, so wie sie ist, berich­tet, muss ent­sorgt, gesell­schaft­lich und/oder kör­per­lich getö­tet, abson­dert und/oder unter Poli­zei­schutz gestellt wer­den, ein Zustand, den man aus der Per­spek­ti­ve der Anste­ckung als Qua­ran­tä­ne oder im Fall der Tötung auch als fina­len Ret­tungs­schuss bezeich­nen kann. In jedem Fall müs­sen die Gläu­bi­gen vor jedem ver­ste­hen­den Kon­takt mit der Wirk­lich­keit kon­se­quent abge­schirmt werden.

Wenn einer des Nachts nicht mehr so rich­tig gera­de­aus fah­ren kann und zufäl­lig einer Poli­zei­strei­fe begeg­net, wird er aller Wahr­schein­lich­keit nach ange­hal­ten und darf ins berühm­te Röhr­chen pus­ten. Wenn man es dann genau­er wis­sen will, weil es auch straf­recht­lich einen Unter­schied macht, ob einer nur ein Buß­geld bezah­len oder den Füh­rer­schein für eine gewis­se Zeit abge­ben muss, nimmt man ihm Blut ab und lässt es auf den alko­ho­li­schen Pro­mil­le­ge­halt im Labor unter­su­chen. Gibt es Grün­de, den Anga­ben des Auf­ge­grif­fe­nen zu miss­trau­en, ver­wen­det man also all­ge­mein aner­kann­te Ver­fah­ren, um sich ein eige­nes zuver­läs­si­ges Bild von der Wirk­lich­keit zu ver­schaf­fen. Was seit der Eman­zi­pa­ti­on wis­sen­schaft­li­cher Zugän­ge zur Wirk­lich­keit aus den Hän­den der Reli­gi­on in Euro­pa selbst­ver­ständ­lich gewor­den ist, gerät nun urplötz­lich im Rah­men der Mas­sen­zu­wan­de­rung unter Ideo­lo­gie­ver­dacht. „Ein Alters­test, der bis dahin auf dem gesam­ten Kon­ti­nent genutzt wur­de, war jetzt plötz­lich unfass­bar bar­ba­risch“ (S. 313).

Ehe man sich’s ver­sieht, steht nicht nur der Land­frie­den, son­dern die gesam­te euro­päi­sche Auf­klä­rung auf dem Spiel, für die es, so erzäh­len es die ein­schlä­gi­gen His­to­ri­ker, in der isla­mi­schen Welt bis­lang kein Aqui­va­lent gibt, wes­we­gen sie seit ihrer Blü­te­zeit in Anda­lu­si­en immer mehr ins Hin­ter­tref­fen gera­ten ist und sowohl den Anschluss an die west­li­che, wie auch den an die asia­tisch-chi­ne­si­sche Kul­tur ver­lo­ren hat. 

Die Erde dreht sich um die Son­ne, sagt die Erfor­schung Gali­leis. Nein, das ist Ket­ze­rei, das dür­fe man nicht sagen, sagt die Kir­che und zwingt ihn zum Wider­ruf. Das war 1633. Knapp vier­hun­dert Jah­re spä­ter sagt die Erfah­rung: der min­der­jäh­ri­ge Flücht­ling mit Bart ist doch längst voll­jäh­rig. Nein, so etwas ist ras­sis­tisch, das dür­fe man nicht sagen, sagt die längst schon klan­des­tin isla­mi­sier­te Meu­te der Lem­min­ge und rennt unge­bremst auf den Abgrund zu. Eine geis­tig gleich­ge­schal­te­te Pres­se bestärkt sie dar­in, ein geis­tig nicht min­der gleich­ge­schal­te­ter „poli­ti­cal main­stream“ setzt dafür den Rah­men. Die Abwehr der Wirk­lich­keit hat qua­si-reli­giö­se Züge.

Und dann ist da noch die Reli­gi­on, die sich ihrer aggres­si­ven Offen­ba­rung gemäß zur gewalt­sa­men Über­nah­me anschickt. Die dient ihren poli­ti­schen Köp­fen, die sich eine geist­li­che Tar­nung zuge­legt haben, schon seit knapp 14 Jahr­hun­der­ten als Schutz gegen den Ein­bruch des Tat­säch­li­chen. Vor die­ser aggres­si­ven Kraft weicht der „poli­ti­cal main­stream“ zurück. Und dann ist der bär­ti­ge Migrant eben ein min­der­jäh­ri­ger Flücht­ling. Weil es so gewollt ist. Das Mäd­chen ist ver­blu­tet, ohne dass der Riss im unsicht­ba­ren Gewe­be der recht­li­chen Bezie­hun­gen wie­der geflickt wird. Und schon bald wer­den es 10.000 Mäd­chen sein.

auch erschie­nen auf: Jür­gen Fritz Blog, Vera Lengs­feld, The Euro­pean