Der Ver­such, die Herr­schaft des Einen dau­er­haft zu eta­blie­ren, durch­zieht die euro­päi­schen Geschich­ten seit dem Zer­fall der römi­schen Repu­blik wie ein schein­bar ewi­ger Fluch, den wir par­tout nicht abschüt­teln kön­nen: Cäsa­ren­wahn, die maß­lo­sen Herr­schafts­an­sprü­che der Päps­te, das Got­tes­gna­den­tum der Köni­ge, der fran­zö­si­sche Abso­lu­tis­mus, die jako­bi­nisch-bol­sche­wis­ti­schen Herr­schafts­an­sprü­che einer selbst­ge­wis­sen Ver­nunft, Napo­le­ons und Hit­lers Griff auf ganz Euro­pa. Am Ende dau­er­te das auf tau­send Jah­re ange­leg­te Drit­te Reich gera­de mal zwölf Jah­re und es waren die Bri­ten, die sich trotz mas­si­ver Beden­ken wie sei­ner­zeit Eli­sa­beth I. für den Wider­stand gegen den neu­er­li­chen Welt­herr­schafts­an­spruch ent­schie­den. Die Ent­schei­dung war Ihnen auch dies­mal nicht leicht gefal­len. Fast scheint es, als könn­ten die Eng­län­der mehr als ande­re an den big points ihrer Geschich­te Per­so­nen her­vor­brin­gen, die ver­ste­hen, was auf dem Spiel steht. Wer hät­te wohl damals dar­auf gewet­tet, dass sich die noto­risch klam­me Eli­sa­beth I. mit ihrer klei­nen Insel gegen ein spa­ni­sches Welt­reich mit schier uner­schöpf­li­chen Res­sour­cen wür­de behaup­ten können?

Der Herr­schafts­an­spruch des Einen ließ sich nie voll­stän­dig durch­set­zen. Aus­nah­men konn­ten sich mal kür­zer, mal län­ger behaup­ten: die ita­lie­ni­schen Stadt­re­pu­bli­ken, die frei­en Reichs­städ­te, die Schweiz. Auch in der gesam­ten ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sungs­dis­kus­si­on spiel­te der Begriff des Sou­ve­räns, wie Han­nah Are­ndt fast bei­läu­fig erwähn­te, kei­ne Rol­le, eine bemer­kens­wer­te Anoma­lie, die Johan Hui­zin­ga auch für die nie­der­län­di­sche Revo­lu­ti­on kon­sta­tier­te. Nur das alte Euro­pa läuft erfah­rungs­re­sis­tent immer wie­der in die glei­che Falle.

Nach­dem 2006 die Ver­fas­sungs­ent­wür­fe für Euro­pa in zwei ent­schei­den­den Refe­ren­den nicht die not­wen­di­ge Auto­ri­sie­rung erhal­ten hat­ten, wäre ein Inne­hal­ten ange­mes­sen gewe­sen. Man hät­te nach­den­ken müs­sen, war­um aus­ge­rech­net die Fran­zo­sen und Nie­der­län­der die Zustim­mung ver­wei­ger­ten. Allein, die Brüs­se­ler Eli­ten hiel­ten sich für klü­ger, ent­schie­den anders, gerie­ten damit end­gül­tig auf die schie­fe Bahn und sind jetzt unsanft auf dem Boden der Tat­sa­chen auf­ge­schla­gen. Wenn wir die Auto­ri­tät von unten nicht bekom­men, dik­tie­ren wir Euro­pa eben von oben, dach­te man. Die Zustän­dig­keit des euro­päi­schen Gerichts­ho­fes wur­de 2009 auf das gesam­te Rechts­we­sen der Uni­on aus­ge­wei­tet. Natio­na­le Rechts­tra­di­tio­nen soll­ten der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren. Zwar fehlt dem EuGH jeg­li­che ver­fas­sungs­recht­li­che Legi­ti­ma­ti­on, aber er schien sich vor­züg­lich dafür zu eig­nen, Vor­schrif­ten von oben an alle zu ver­tei­len und dabei die herr­schaft­li­che Absicht hin­ter der schein­ba­ren Rechts­för­mig­keit zu ver­schlei­ern. Wenn sich alle frei­wil­lig unter­wer­fen wür­den, was bei den ent­po­li­ti­sier­ten Deut­schen eine ein­fa­che Übung war, hät­te es ja auch funk­tio­nie­ren kön­nen. Tat­säch­lich erweist sich der EuGH als die von Ver­fas­sungs­recht­lern längst befürch­te­te Soll­bruch­stel­le. Die poli­ti­sche Eigen­sin­nig­keit der Bri­ten hat­te man wohl unter­schätzt. Schon als Island 2015 sein Bei­tritts­ge­such zur Euro­päi­schen Uni­on offi­zi­ell wie­der zurück­zog, hät­te man auf­mer­ken kön­nen. Das Ereig­nis ver­schwand unbe­dacht im all­ge­mei­nen Ver­ges­sen. Die Pro­pa­gan­da ver­klär­te die abso­lu­tis­ti­sche Visi­on Euro­pas unver­dros­sen als alter­na­tiv­los. Intel­lek­tu­el­le Hand­lan­ger wie U. Gué­rot oder I. Kras­tev began­nen, Demo­kra­tie gegen­über der gro­ßen euro­päi­schen Revo­lu­ti­on als ent­behr­lich hinzustellen.

Damit hat sich die EU nun in eine veri­ta­ble Sack­gas­se manö­vriert. Der Ver­such, das Poli­ti­sche zu eli­mi­nie­ren, ging dank der Bri­ten wie­der nicht auf. Um aus die­sem Dilem­ma wie­der her­aus­zu­kom­men, müss­te sich die EU gänz­lich neu erfin­den. Den Eng­län­dern Vor­schrif­ten machen, die sie gefäl­ligst zu befol­gen haben, geht nicht mehr, es sind wie­der zwei Sou­ve­rä­ne im Spiel, mit den Eng­län­dern zu bei­der­sei­ti­gem Nut­zen ver­han­deln, geht auch nicht, der Brexit darf kei­nen Erfolg haben und kei­ne Nach­ah­mer fin­den, mit den Eng­län­dern um den bes­se­ren Weg strei­ten, geht aus der Posi­ti­on des Sou­ve­räns erst Recht nicht und auf die Eng­län­der ver­zich­ten nach der Art Hon­eckers (wir wei­nen den Repu­blik­flücht­lin­gen kei­ne Trä­ne nach), geht auch nicht, dafür sind die Bri­ten zu potent. Zudem: von welch geo­stra­te­gi­scher Bedeu­tung eine Atom­macht ist, hat man am Aus­gang des Krim­kon­flik­tes gese­hen. Die klei­ne­ren ost­eu­ro­päi­schen Staa­ten, die auf den Schutz einer Atom­macht ange­wie­sen sind, wer­den die Lek­ti­on ver­stan­den haben.

Die Bri­ten könn­ten wirt­schaft­lich und poli­tisch stär­ker aus der Lage her­aus­kom­men, als die offi­zi­el­le Pro­pa­gan­da glau­ben machen will. Schon die bis­he­ri­gen Hor­ror­sze­na­ri­en vom unmit­tel­ba­ren Nie­der­gang erwie­sen sich als vor­ei­lig und wunsch­ge­trie­ben. Sie wer­den kaum so dumm sein wie wir und ihre Schlüs­sel­in­dus­trien wegen einer infan­ti­len Kli­ma­hys­te­rie an die Wand fah­ren. Dafür fehlt ihnen der deut­sche Schuld­kom­plex. Und Sie wer­den ihr wie­der­erlang­tes Selbst­be­stim­mungs­recht nut­zen, um jede Schwä­che der EU-Büro­kra­tie gna­den­los aus­zu­nut­zen. Das ist ihr gutes Recht. Wel­che Panik die EU dabei jetzt schon umtreibt, hört man an der gran­dio­sen Wort­schöp­fung vom ‚level play­ing field‘. Die EU träumt, sie allein kön­ne Regeln und Ort des Spiels fest­schrei­ben. Und wenn die Eng­län­der ein­fach nicht mit­spie­len oder die Regeln nicht akzep­tie­ren, kann man sie dann zwin­gen? Womit denn?

Dass die EU die Lek­ti­on vom lee­ren Platz des Sou­ve­räns so schnell ver­ste­hen wird, ist unwahr­schein­lich - jetzt erst recht, scheint die Devi­se. Wir kön­nen uns auf span­nen­de Zei­ten gefasst machen.

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